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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Schriftrollen und Fragmente aus Caluptena noch gar nicht mitgerechnet.«
    Sie machte eine abschätzige Geste. »Du verwendest also Jahre darauf, das perfekte Ordnungssystem zu entwickeln, in dem sogar deine frei erfundenen oder historisch verbrieften Reiseberichtsmemoiren ein hübsches Plätzchen finden. Und dann verwenden du und deine Mitarbeiter Jahrzehnte darauf, Zehntausende Bücher zu identifizieren, zu sortieren und neu anzuordnen.« Sie sah mir in die Augen. »Und dann stirbst du. Und was dann?«
    Allmählich verstand ich, worauf sie hinaus wollte. »Tja, in einer idealen Welt würde der nächste Meister der Bibliothek da weitermachen, wo ich aufgehört habe«, sagte ich.
    »Ein Hoch auf die ideale Welt«, sagte Fela, machte dann kehrt und führte mich weiter durchs Magazin.
    »Ich schätze mal, die neuen Meister haben normalerweise eigene Vorstellungen davon, wie man das hier organisieren sollte.«
    »Nicht normalerweise«, erwiderte Fela. »Einige Male haben mehrere hintereinander nach dem gleichen System gearbeitet. Aber früher oder später kommt jemand, der sich sicher ist, dass er eine bessere Methode hat, und dann fängt alles wieder von vorne an.«
    »Wie viele unterschiedliche Systeme hat es denn schon gegeben?« Ich entdeckte ein schwaches, rötliches Licht, das in der Ferne zwischen den Regalen aufleuchtete, und machte sie darauf aufmerksam.
    Fela wechselte die Richtung, um uns von dem Licht und dem, der es trug, fort zu führen. »Es kommt darauf an, wie man das zählt«, sagte sie leise. »In den letzten dreihundert Jahren mindestens neun. Am schlimmsten war es vor etwa fünfzig Jahren, als innerhalb von fünf Jahren vier neue Meister aufeinander folgten. Das führte dazu, dass sich unter den Bibliothekaren drei gegensätzliche Fraktionen bildeten, die jeweils ein eigenes Katalogisierungssystem verwendeten, das sie für das beste hielten.«
    »Das klingt ja fast nach einem Bürgerkrieg«, sagte ich.
    »Eher ein heiliger Krieg«, sagte Fela. »Ein ganz stiller, sehr sorgfältig durchgeführter Feldzug, bei dem sich jede Seite sicher war, dass sie die Seele der Bibliothek bewahrte. Man stahl Bücher, die nach dem System der anderen Fraktion bereits katalogisiert waren. Man versteckte Bücher voreinander oder brachte sie in den Regalen durcheinander.«
    »Und wie lange ging das so?«
    »Fast fünfzehn Jahre lang«, sagte Fela. »Es wäre womöglich bis heute so weitergegangen, wenn es Meister Tolems Bibliothekaren nicht irgendwann gelungen wäre, das Registerbuch der anderen Fraktion, der Larkiner, zu stehlen und zu verbrennen. Da konnten die Larkiner nicht mehr so weitermachen.«
    »Und die Moral von der Geschichte ist, dass die Leute beim Umgang mit Büchern leidenschaftlich werden?«, sagte ich und neckte sie ein wenig damit. »Und deshalb müssen die Lesezimmer stichprobenmäßig kontrolliert werden?«
    Fela streckte mir die Zunge heraus. »Die Moral von der Geschichte ist, dass das hier ein einziges Chaos ist. Wir haben zweihunderttausend Bände ›verloren‹, als Tolem das Registerbuch der Larkiner verbrannte. Das war die einzige Aufzeichnung darüber, wo sich diese Bücher befanden. Fünf Jahre später starb Tolem. Und rate mal, was dann geschah.«
    »Ein neuer Meister wollte noch einmal ganz von vorne anfangen?«
    »Es ist wie eine endlose Abfolge halb fertiggestellter Häuser«, echauffierte sie sich. »Nach dem alten System Bücher zu finden war einfach, und deshalb haben die neuen Systeme darauf aufgebaut. Die an dem neuen Haus arbeiten, klauen Bauholz aus dem, was vor ihnen errichtet wurde. Hier und da stößt man immer noch auf Bruchstücke der alten Systeme. Wir finden immer noch Ecken, in denen Bibliothekare vor Jahren Bücher voreinander versteckt haben.«
    »Ich merke schon, das ist ein wunder Punkt bei dir«, sagte ich und lächelte.
    Wir kamen an eine Treppe, und Fela sah sich zu mir um. »Das ist ein wunder Punkt bei jedem, der länger als zwei Tage hier in der Bibliothek arbeitet«, sagte sie. »Die Leute im Lesesaal beschweren sich, wenn wir eine Stunde brauchen, um ihre Bestellungen zu holen. Sie haben keine Ahnung davon, dass man nicht einfach nur zum Regal ›Geschichte der Amyr‹ gehen und ein Buch herausziehen muss.«
    Sie ging die Treppe hinauf. Ich folgte ihr schweigend, dankbar für diese neuen Aufschlüsse.

Kapitel 91
    Den Hof machen

    I n dem nun folgenden Herbst-Trimester spielte sich bald ein angenehmes Muster ein. Fela machte mich nach und nach mit dem inneren

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