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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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zu verwirrt, um in Panik zu geraten, wie benommen vor Entsetzen und Furcht.
    Ja, am liebsten würde ich diesen ganzen Abend überspringen. Ich würde euch am liebsten all das ersparen, wäre eines davon nicht für die Geschichte nötig. Es ist von entscheidender Bedeutung. Es ist der Dreh- und Angelpunkt, das Scharnier, um das sich die ganzeGeschichte dreht wie eine sich öffnende Tür. In mancher Hinsicht beginnt die Geschichte erst hier.
    Bringen wir es also hinter uns.

    Rauchschwaden hingen in der stillen Abendluft. Es war ruhig, so als lausche die ganze Truppe auf irgendetwas. Als hielten sie alle den Atem an. In den Baumkronen raschelte ein träger Wind und trieb Rauch in meine Richtung. Ich trat aus dem Wald und lief durch den Rauch zurück ins Lager.
    Ich schaute mich um und sah Trips Zelt halb eingestürzt daliegen und in seinem Lagerfeuer vor sich hin schwelen. Die imprägnierte Zeltleinwand brannte an einzelnen Stellen, und beißender grauer Rauch hing flach über dem Boden.
    Ich sah Terens Leichnam neben seinem Wagen liegen, das Schwert in seiner Hand zerbrochen. Seine grün-graue Kluft war durch und durch mit frischem Blut getränkt. Sein eines Bein war widernatürlich verdreht, und der zersplitterte Knochen, der aus der Haut ragte, war sehr, sehr weiß.
    Ich stand da, unfähig, den Blick von Teren zu lösen, dem grauen Hemd, dem roten Blut, dem weißen Knochen. Ich starrte es an, als wäre es ein Diagramm in einem Buch, das ich zu durchschauen versuchte. Ich war wie benommen. Es kam mir vor, als versuchte ich, durch Sirup zu denken.
    Ein kleiner vernünftiger Teil von mir erkannte, dass ich gerade einen schweren Schock erlitt. Er flüsterte mir das immer wieder ein. Ich bot Bens ganzes Training auf, um das zu ignorieren. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was ich sah. Ich wollte nicht wissen, was hier geschehen war. Ich wollte nicht wissen, was all das zu bedeuten hatte.
    Nach ich weiß nicht wie langer Zeit trieb weiterer Rauch durch mein Gesichtsfeld. Ich setzte mich wie benommen an das nächstbeste Lagerfeuer. Es war das von Shandi, und ein kleiner Kochtopf hing darüber, in dem Kartoffeln vor sich hin köchelten, ein seltsam vertrauter Anblick inmitten des Chaos.
    Ich konzentrierte mich auf diesen Topf. Auf etwas Normales. Ich stocherte mit einem Stöckchen nach den Kartoffeln und sah, dass sie gar waren. Ganz normal. Ich nahm den Topf vom Feuer und stellte ihn neben Shandis Leichnam auf dem Boden ab. Ihre Kleider hingen in Fetzen. Ich versuchte ihr das Haar aus dem Gesicht zu streichen, und als ich die Hand wieder zurückzog, war sie blutig. Der Feuerschein spiegelte sich in ihren stumpfen, blicklosen Augen.
    Ich stand auf und sah mich ziellos um. Trips Zelt stand nun in Flammen, und Shandis Wagen stand mit einem Rad in Marions Lagerfeuer. All diese Flammen hatten etwas Bläuliches, etwas, das der ganze Szene etwas Traumähnliches, Surreales verlieh.
    Ich hörte Stimmen. Um Shandis Wagen herumspähend, sah ich einige mir unbekannte Männer und Frauen an einem Feuer sitzen. Es war das Feuer meiner Eltern. Vom Schwindel gepackt, streckte ich die Hand aus, um mich an dem Wagenrad festzuhalten. Als ich es ergriff, zerbröckelte mir der Eisenreifen unter den Fingern, zersplitterte zu grobkörnigem Rost. Als ich die Hand wieder wegzog, knarrte das Rad und begann zu bersten. Ich wich zurück, und der Wagen brach auseinander, als wäre sein Holz so morsch wie ein uralter Baumstumpf.
    Nun war ich vom Feuer aus gut zu sehen. Einer der Männer erhob sich und zog das Schwert. Seine Bewegungen erinnerten mich an Quecksilber, das aus einem Krug auf eine Tischplatte fließt – mühelose Geschmeidigkeit. Er blickte gespannt, aber sein Körper war gelöst, so als hätte er sich eben erst gestreckt.
    Sein Schwert war hell und elegant. Wenn es sich bewegte, durchschnitt es mit scharfem Sausen die Luft. Es erinnerte mich an die Stille, die sich an den kältesten Wintertagen, wenn das Atmen wehtut, auf alles legt.
    Der Mann stand etwa zehn Meter von mir entfernt, aber ich konnte ihn im Licht des Sonnenuntergangs gut sehen. Ich erinnere mich an ihn so deutlich, wie ich mich an meine Mutter erinnere, manchmal deutlicher. Sein Gesicht war scharf geschnitten und schmal, sein Teint makellos wie Porzellan. Schulterlanges Haar rahmte sein Gesicht in eisfarbenen Locken. Er war ein winterfahles Wesen. Alles an ihm war kalt, scharf und weiß.
    Bis auf seine Augen. Die waren schwarz, wie die einer Ziege, doch ohne Iris.

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