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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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fertig war.
    »Komm schon, Arl!«, rief Shandi. »Du hast uns wirklich lange genug schmoren lassen.«
    Er schüttelte noch einmal den Kopf, immer noch lächelnd. »Es ist noch nicht fertig.« Er bückte sich und legte seine Laute vorsichtig in ihren Kasten.
    »Nur eine kleine Kostprobe, Arliden.« Das kam von Teren.
    »Ja, Ben zuliebe. Es wäre doch wirklich nicht fair, wenn er mitbekommen hat, wie du die ganze Zeit daran herumgebosselt hast, und dann gar nicht mehr erfährt …«
    »… fragen uns sowieso, was du die ganze Zeit mit deiner Frau im Wagen anstellst, wenn du nicht …«
    »Sing es!«
    »Lanre!«
    Trip dirigierte die Truppe, formte sie flugs zu einer im Chor rufenden Masse, der mein Vater fast eine Minute lang widerstand, bis er schließlich nachgab und die Laute wieder aus dem Kasten nahm. Allgemeiner Jubel.
    Die Menge wurde ganz still, als er sich wieder setzte. Er stimmte ein, zwei Saiten nach, obwohl er die Laute eben erst weggelegt hatte. Er spannte die Finger, spielte ein paar leise, improvisierte Töne und ging dann so unmerklich zu dem Lied über, dass ich es erst bemerkte, als es schon begonnen hatte. Und dann erhob sich die Stimme meines Vaters über dem Klang seiner Laute:
    Setzt euch und lauscht, denn singen will ich
    euch eine Mär, erzählt und vergessen
    vor alter Zeit. Die Mär eines Mannes.
    Des stolzen Lanre, stark wie der Frühling,
    den Stahl seines Schwerts stets zu zücken bereit.
    Hört, wie er kämpfte, fiel und erstand
    und abermals fiel und ins Schattenreich kam.
    Er fiel durch die Liebe, die Liebe zur Heimat
    Und seiner Frau Lyra, auf deren Ruf hin er, heißt’s,
    durch die Pforte des Todes ward wiedergeboren
    und als ersten Hauch ihren Namen sprach.
    Mein Vater atmete ein und hielt inne, den Mund geöffnet, so als würde er gleich weitersingen. Dann jedoch zeigte sich ein schalkhaftes Grinsen auf seinem Gesicht, und er beugte sich hinab und legte die Laute zurück in den Kasten. Ein Sturm der Entrüstung brach los, aber eigentlich wussten sie alle, dass sie froh sein konnten, überhaupt so viel gehört zu haben. Jemand anderes stimmte ein Tanzlied an, und die Proteste verstummten.
    Meine Eltern tanzten miteinander, und der Kopf meiner Mutter ruhte an der Brust meines Vaters. Sie hatten die Augen geschlossen und wirkten vollkommen zufrieden. Wenn man so jemanden findet, jemanden, den man in den Armen halten und mit dem man gemeinsam die Augen vor der Welt schließen kann, dann hat man Glück gehabt. Selbst wenn es nur einen Tag oder auch nur eine Minute währt. Dieses Bild der beiden, wie sie sich zur Musik wiegen, sehe ich nach all den Jahren immer noch, vor mir, wenn ich an sie denke.
    Anschließend tanzte Ben mit meiner Mutter, mit sicheren, würdevollen Schritten. Ich war ganz hingerissen von dem schönen Anblick, den sie boten. Ben – alt, grau und beleibt, mit seinem zerfurchten Gesicht und den angesengten Augenbrauen. Meine Mutter – schlank, frisch und munter, mit ihrem hellen, faltenlosen Gesicht im Feuerschein. Sie ergänzten einander durch ihre Gegensätze. Es tat mir in der Seele weh zu wissen, dass ich sie womöglich nie wieder zusammen sehen würde.
    Da dämmerte im Osten schon der Morgen. Alle fanden sich ein, um sich ein letztes Mal zu verabschieden.
    Ich weiß nicht mehr, was meine letzten Worte an Ben waren. Ich weiß nur noch, dass sie mir auf jämmerliche Weise unzulänglich erschienen, aber ich wusste auch, dass er dafür Verständnis hatte. Ich musste ihm versprechen, mich mit den Dingen, die er mir beigebracht hatte, nicht in Schwierigkeiten zu bringen.
    Er bückte sich ein wenig, schloss mich in die Arme und zauste mir dann das Haar. Ich störte mich nicht daran. Als kleine Revanche versuchte ich, seine Augenbrauen glatt zu streichen, was ich schon immer hatte tun wollen.
    Sein verblüffter Blick war wunderbar. Er schloss mich noch einmal fest in die Arme. Dann ging er zurück.
    Meine Eltern versprachen, die Truppe wieder in diese Stadt zu lotsen, wenn wir das nächste Mal in der Gegend waren. Sämtliche Mitglieder der Truppe bekundeten, dass man sie dazu nicht groß würde lotsen müssen. Doch so jung ich auch war, kannte ich doch die Wahrheit. Es würde sehr viel Zeit vergehen, ehe ich ihn wiedersah. Jahre.
    Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie wir an diesem Morgen aufbrachen. Ich weiß nur noch, wie ich versuchte einzuschlafen und mich dabei sehr einsam fühlte und einen dumpfen, bittersüßen Schmerz empfand.

    Als ich an diesem Nachmittag

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