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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Baldachin der Baumkronen ein hell-dunkles Muster. Ein Bächlein floss von dem Weiher aus über einigeFelsen nach Osten. Es mochte ein schöner Ort gewesen sein, aber das bemerkte ich nicht. Ich konnte es nicht bemerken. Die Bäume boten mir Schutz, das Unterholz Nahrung, und der Weiher, auf dem sich der Mondschein spiegelte, ließ mich nur wieder an meinen Durst denken.
    Am Ufer des Weihers lag ein großer, rechteckiger Stein. Ein paar Tage zuvor hätte ich ihn noch als Graustein erkannt. Jetzt sah ich darin nur noch einen nützlichen Windschutz, etwas, woran ich meinen Rücken lehnen konnte, während ich schlief.
    Durch das Laubdach der Bäume sah ich Sterne funkeln. Das bedeutete, dass einige Stunden vergangen waren, seit ich von dem Wasser getrunken hatte. Da mir bis jetzt nicht schlecht davon geworden war, befand ich es für in Ordnung und trank mehr davon.
    Doch statt mich zu erquicken, erinnerte mich das Wasser nur daran, wie fürchterlich hungrig ich war. Ich setzte mich auf den Stein am Ufer des Weihers. Ich aß ein wenig von dem Mutterlaub. Es fühlte sich rau und papierartig im Mund an und schmeckte bitter. Ich aß den ganzen Rest, doch es half nichts. Ich trank noch etwas Wasser und legte mich dann zum Schlafen nieder. Es war mir egal, dass der Stein kalt und hart war, oder wenigstens tat ich so, als wäre es mir egal.

    Ich erwachte, trank einen Schluck Wasser und ging nach der Schlinge sehen, die ich ausgelegt hatte. Zu meinem Erstaunen zappelte darin ein Kaninchen. Ich zückte mein Taschenmesser und erinnerte mich daran, wie Laclith mir beigebracht hatte, Kaninchen abzuziehen. Dann dachte ich an das Blut und wie es sich auf meinen Händen anfühlen würde. Mir wurde schlecht, und ich übergab mich. Ich schnitt das Kaninchen los und ging zurück zum Weiher.
    Ich trank noch etwas Wasser und setzte mich auf den Stein. Ich fühlte mich leicht benommen und fragte mich, ob das wohl vom Hunger kam.
    Doch dann besann ich mich und schalt mich ob meiner Torheit. An einem abgestorbenen Baum fand ich einige Pilze und aß sie,nachdem ich sie im Weiher gewaschen hatte. Sie schmeckten scheußlich. Ich aß alle, die ich fand.
    Ich legte eine neue Schlinge aus, diesmal eine tödliche. Dann lag Regen in der Luft, und ich kehrte zu dem Graustein zurück, um meine Laute in Sicherheit zu bringen.

Kapitel 19
    Finger und Saiten

    A nfangs verhielt ich mich fast wie ein Automat, tat gedankenlos, was nötig war, um mich am Leben zu erhalten.
    Ich aß das zweite Kaninchen, das ich fing, und auch das dritte. Ich entdeckte eine Stelle, an der wilde Erdbeeren wuchsen. Ich grub nach Wurzeln. Nach vier Tagen hatte ich alles, was ich zum Überleben brauchte: eine mit Steinen eingefasste Feuerstelle und ein trockenes Versteck für meine Laute. Ich hatte sogar einen kleinen Proviantvorrat angelegt, auf den ich in Notfällen zurückgreifen konnte.
    Und ich hatte etwas, das ich gar nicht brauchte: Zeit. Nachdem ich meine unmittelbaren Bedürfnisse gestillt hatte, stellte ich fest, dass es weiter für mich gar nichts zu tun gab. Ich glaube, das war der Moment, in dem ein kleiner Teil meines Geistes wieder zu erwachen begann.
    Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich war nicht ich selbst. Zumindest war ich nicht mehr der Mensch, der ich noch einige Tage zuvor gewesen war. Alles, was ich tat, tat ich mit meinem ganzen Bewusstsein, damit kein Teil meines Geistes unbeschäftigt blieb und sich womöglich erinnerte.
    Ich wurde immer dünner und abgerissener. Ich schlief im Regen oder im Sonnenschein, auf weichem Gras, feuchtem Erdboden oder scharfkantigen Steinen, mit einer Gleichgültigkeit, die nur ein Trauernder aufzubringen vermag. Von meiner Umgebung nahm ich nur Notiz, wenn es regnete, denn dann konnte ich meine Laute nicht hervorholen, um darauf zu spielen, und das schmerzte mich.
    Selbstverständlich spielte ich Laute. Es war mein einziger Trost.
    Nachdem ein Monat verstrichen war, hatte ich steinharte Schwielen an den Fingern und konnte stundenlang ununterbrochen spielen. Ich spielte und spielte all die Lieder, die ich auswendig kannte. Dann spielte ich auch die Lieder, an die ich mich nur teilweise erinnerte, und ergänzte die fehlenden Partien, so gut ich konnte.
    Schließlich war ich so weit, dass ich vom Erwachen bis zum Einschlafen Laute spielen konnte. Ich hörte auf, die mir bekannten Lieder zu spielen, und dachte mir neue aus. Ich hatte mir auch früher schon Lieder ausgedacht; ich hatte sogar meinem Vater dabei geholfen, ein

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