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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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schmerzlindernd.« Ich probierte es, und es schmeckte bitter. »Das ist Juckwurz. Fass bloß nicht die Blätter an.« Ich machte einen großen Bogen darum. »Das ist Christophskraut. Die Beeren sind essbar, wenn sie rot sind, nicht aber, solange sie noch grün oder gelb sind.
    So musst du deine Schritte setzen, wenn du lautlos gehen willst.« Mir taten davon die Waden weh. »So teilst du das Gebüsch leise und ohne Spuren zu hinterlassen. Hier findest du trockenes Holz. So schützt du dich vor dem Regen, wenn du keine Plane hast. Das ist Paterwurz. Es ist essbar, schmeckt aber scheußlich. Die da«, er wies auf einige Pflanzen, »Gradgerte und Gelbstreif, sind absolut ungenießbar. Das da mit den kleinen Knubbeln drauf ist Burrum. Das solltest du nur essen, falls du vorher gerade so etwas wie Gelbstreif gegessen hast. Dann würgst du alles wieder heraus, was du im Magen hast.
    So legst du eine Schlinge, die das Kaninchen nicht tötet. Diese Schlinge hier tötet es.«
    Als ich seinen Händen dabei zusah, wie sie mit einer Schnur hantierten, wurde mir klar, dass es gar nicht mehr Laclith war, sondern Abenthy. Wir fuhren auf seinem Wagen, und er brachte mir Seemannsknoten bei.
    »Knoten sind etwas Interessantes«, sagte er, während er einen schlang. »Der Knoten ist entweder die stärkste oder die schwächste Stelle des Seils. Und das hängt vollkommen davon ab, wie gut man ihn schnürt.« Er hob die Hände und zeigte mir ein unglaublich verzwicktes Muster, das zwischen seinen Fingern aufgespannt war.
    Seine Augen funkelten. »Irgendwelche Fragen?«
    »Irgendwelche Fragen?«, sagte mein Vater. Wir hatten eines Grausteins wegen früh gehalten. Er saß da, stimmte seine Laute und würde nun meiner Mutter und mir endlich sein neues Lied vorspielen. Wir hatten so lange darauf gewartet. »Gibt es irgendwelche Fragen?«, sagte er noch einmal, mit dem Rücken an den großen grauen Stein gelehnt.
    »Warum halten wir bei den Wegsteinen?«
    »Das ist ein alter Brauch. Aber manche Leute sagen auch, sie bezeichnen alte Straßen –« Aus der Stimme meines Vaters wurde Bens Stimme. »– sichere Straßen. Manchmal Straßen, die zu sicheren Orten führen, manchmal sichere Straßen, die in die Gefahr führen.« Ben streckte eine Hand in die Richtung des Steins, so als spürte er die Wärme eines Feuers. »Sie bergen eine gewisse Kraft. Nur ein Dummkopf würde das bestreiten.«
    Und dann war Ben fort, und dort stand nicht nur ein Stein, sondern viele. Mehr als ich je an einem Ort versammelt gesehen hatte. Sie bildeten rings um mich her einen Doppelkreis. Ein Stein lag quer auf zwei anderen, und sie formten so einen riesigen Torbogen mit dunklem Schatten darunter. Ich streckte die Hand aus, um ihn zu berühren …
    Und erwachte. Mein Geist hatte einen frischen Schmerz mit den Namen Hunderter Wurzeln und Beeren überkleistert, mit vier Arten des Feuermachens, neun Schlingen aus weiter nichts als Schösslingen und Schnur und einer sicheren Methode, Trinkwasser zu finden.
    Ich dachte nicht groß über die anderen Bestandteile des Traums nach. Ben hatte mir keine Seemannsknoten beigebracht. Und mein Vater hatte sein Lied nie fertig gestellt.
    Ich machte eine Bestandsaufnahme dessen, was ich dabeihatte: Einen Sack aus Segeltuch, ein kleines Messer, ein Knäuel Schnur, etwas Wachs, einen Kupferpenny, zwei Eisenscherflein und Rhetorik und Logik , das Buch, das Ben mir geschenkt hatte. Außer den Kleidern, die ich am Leibe trug, und der Laute meines Vaters besaß ich weiter nichts.
    Ich machte mich auf die Suche nach Trinkwasser. »Wasser ist immer am wichtigsten«, hatte Laclith gesagt. »Auf alles andere kann man auch mal ein paar Tage lang verzichten.« Ich orientierte mich und folgte dann einigen Tierspuren. Als ich inmitten eines Birkenhains einen kleinen, von einer Quelle gespeisten Weiher entdeckte, zog schon die erste Abendröte am Himmel auf. Ich hatte schrecklichen Durst, doch die Vorsicht siegte, und ich trank nur ein paar Schluck.
    Anschließend sammelte ich in hohlen Bäumen und unter Laubdächern trockenes Holz. Ich legte eine einfache Schlinge aus. Ich pflückte etwas Mutterlaub und strich mir den Pflanzensaft auf die aufgerissenen, blutigen Finger. Der brennende Schmerz lenkte mich ab und ließ mich nicht mehr daran denken, wie ich mir die Hände verletzt hatte.
    Während ich den Pflanzensaft einziehen ließ, sah ich mich flüchtig um. Eichen und Birken wetteiferten hier um Licht und Luft. Ihre Stämme bildeten unter dem

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