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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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wirkte, als hätte er einen Bart, und das verlieh ihm ein seltsam grausames Aussehen.
    Zwei weitere Jungs zerrten mich von der Mauer fort. Ich schrie auf, als einer mir den Arm verdrehte. Der ältere Junge lächelte und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Was machst du denn hier? Hast du dich verlaufen?« Sein Grinsen wurde breiter.
    Ich versuchte mich loszureißen, aber einer der Jungen verdrehte mir das Handgelenk, und ich keuchte: »Nein.«
    »Ich glaube, er hat sich verlaufen, Pike«, sagte der Junge zu meiner Rechten. Der zu meiner Linken rammte mir einen Ellbogen an die Schläfe, und die Gasse bekam schwere Schlagseite.
    Pike lachte.
    »Ich suche eine Lautenwerkstatt«, murmelte ich, leicht benommen.
    Pikes Miene wurde mordlüstern. Er packte mich bei den Schultern. »Habe ich dich irgendwas gefragt?«, brüllte er. »Habe ich gesagt, dass du reden darfst?« Er rammte mir seine Stirn ins Gesicht, und es knackte, und mich durchfuhr ein gellender Schmerz.
    »He, Pike.« Ein Fuß stupste meinen Lautenkasten an, der polternd umfiel. »He, Pike, schau dir das an.«
    Pike sah auf den Kasten. »Was hast du denn da geklaut?«
    »Das habe ich nicht geklaut.«
    Einer der Jungen, die meine Arme festhielten, lachte. »Aber klar doch, das hat dir dein Onkel mitgegeben, damit du es vertickst und von dem Geld Medizin für deine kranke Oma kaufst.« Er lachte, und ich versuchte mir die Tränen aus den Augen zu blinzeln.
    Es klickte dreimal, als die Schnappverschlüsse geöffnet wurden. Dann ertönte das unverkennbare harmonische Geräusch, mit dem die Laute aus dem Kasten gehoben wurde.
    »Da wird deine Oma aber sehr traurig sein, dass du die verloren hast«, sagte Pike leise.
    »Verfickter Tehlu!«, entfuhr es dem Jungen zu meiner Rechten. »Pike, weißt du, was so was wert ist? Das ist Gold wert, Pike!«
    »Du sollst den Namen Tehlus nicht missbrauchen«, sagte der Junge zu meiner Linken.
    »Was?«
    »›Rufe Tehlu nur in der größten Not an, denn Tehlu richtet jeden Gedanken und jede Tat‹«, rezitierte er.
    »Tehlu kann mich gerne mal mit seinem leuchtenden Riesenpimmel vollstrullen, wenn dieses Ding nicht mindestens zwanzig Talente wert ist. Das bedeutet, dass wir von Diken mindestens sechs Talente dafür kriegen. Weißt du, was man mit so viel Geld alles machen könnte?«
    »Du wirst gar nicht erst dazu kommen, irgendwas damit zu machen, wenn du nicht aufhörst, solche Sachen zu sagen. Tehlu wacht über uns, aber er ist rachsüchtig.« Die Stimme des zweiten Jungen klang ehrfürchtig und ängstlich.
    »Hast du wieder in der Kirche gepennt? Du holst dir den Glauben, wie ich mir Flöhe hole.«
    »Warte nur, ich mach dich fertig.«
    »Deine Mutter ist ’ne Pennynutte.«
    »Lass meine Mutter aus dem Spiel, Lin.«
    » Eisen pennys.«
    Es war mir mittlerweile gelungen, die Tränen fortzublinzeln, und ich sah Pike auf der Gasse hocken. Er war offenbar ganz fasziniert von meiner Laute. Meiner wunderschönen Laute. Er guckte ganz verträumt, als er sie immer wieder in seinen schmutzigen Händen hin und her drehte. Zu der Furcht und dem Schmerz kam nun auch noch Entsetzen.
    Während die beiden Stimmen hinter mir lauter wurden, stieg große Wut in mir auf. Ich spannte mich an. Ich konnte nicht gegen sie kämpfen, aber ich wusste, dass ich die drei abschütteln konnte, wenn ich meine Laute zu fassen bekam und damit in einer Menschenmenge verschwand.
    »… aber sie hat dennoch weitergebumst. Obwohl sie nur noch ’n halben Penny pro Nummer kassieren konnte. Und darum hast du so ’n weichen Keks. Du kannst froh sein, dass du da keine Delle drin hast. Also nimm’s nicht so schwer, denn das ist auch der Grund, warum du so zu religiösem Schwachsinn neigst«, schloss der erste Junge triumphierend.
    Anspannung spürte ich nur auf meiner rechten Seite. Ich spannte mich ebenfalls an, bereit loszustürzen.
    »Aber danke für die Warnung. Wie man so hört, versteckt sich Tehlu ja gern hinter großen Haufen Pferdescheiße, und –«
    Plötzlich waren meine Arme frei. Der eine Junge rammte den anderen an die Mauer. Ich lief die drei Schritte zu Pike, packte meine Laute am Hals und zog.
    Doch Pike war schneller, als ich erwartet hatte – oder stärker. Ich riss die Laute nicht mit mir. Vielmehr wurde ich ruckartig aufgehalten, und Pike kam auf die Füße.
    Ich kochte vor Wut. Ich ließ die Laute los und stürzte mich auf Pike. Ich krallte mich in sein Gesicht und seinen Hals, doch er hatte schon zu viele Straßenschlägereien

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