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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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zusammenkrampfte. Hier konnte ich wenigstens riechen, dass irgendwo ein Huhn gekocht wurde. Ich wäre dem Geruch nachgegangen, war aber zu benommen dazu, und außerdem taten mir zu sehr die Rippen weh. Vielleicht würde mir am nächsten Tag jemand etwas zu essen geben. Jetzt war ich zu müde. Ich wollte nur noch schlafen.
    Dem Pflaster entwich die letzte Wärme des Sonnenscheins, und der Wind frischte auf. Ich wechselte in den Eingang des Buchladens.Als ich schon fast eingeschlafen war, öffnete der Buchhändler die Tür, verpasste mir einen Tritt und sagte, ich solle verschwinden, sonst rufe er die Wache. Ich humpelte so schnell ich konnte davon.
    Dann fand ich in einer Gasse ein paar leere Kisten. Grün und blau geschlagen, wie ich war, und vollkommen erschöpft, rollte ich mich dahinter zusammen. Ich schloss die Augen und gab mir Mühe, nicht daran zu denken, wie es war, gewärmt und gesättigt schlafen zu gehen, umgeben von Menschen, die einen liebten.
    Dies war die erste Nacht von fast drei Jahren, die ich in Tarbean verbrachte.

Kapitel 21
    Keller, Brot und Eimer

    E s war kurz nach der Mittagessenszeit. Oder vielmehr wäre es kurz nach der Mittagessenszeit gewesen, wenn ich etwas zu essen gehabt hätte. Ich bettelte im Merchant’s Circle, und der Tag hatte mir bisher zwei Tritte eingetragen (einen von einer Wache, einen von einem Söldner), drei Stöße (zwei von Fuhrleuten, einen von einem Seemann), einen neuen Fluch, bei dem es um eine eher ungewöhnliche anatomische Anordnung ging (ebenfalls von dem Seemann), und etwas Speichel von einem wenig liebenswerten älteren Herrn unbekannter Profession. – Und ein Eisenscherflein nicht zu vergessen. Was ich jedoch eher den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit als etwelcher menschlicher Freundlichkeit zugute hielt. Denn auch ein blindes Schwein findet ab und zu mal eine Eichel.
    Ich lebte schon fast seit einem Monat in Tarbean, und am Tag zuvor hatte ich zum ersten Mal versucht, etwas zu stehlen. Es war ein Anfang gewesen, der nichts Gutes verhieß. Ich war mit der Hand in der Tasche eines Schlachters erwischt worden. Dafür hatte ich einen so heftigen Schlag an den Kopf kassiert, dass mich noch am nächsten Tag der Schwindel packte, wenn ich mich schnell bewegte. Von meinem ersten Ausflug in die Diebeskunst nicht eben ermutigt, hatte ich beschlossen, dass der heutige ein Tag zum Betteln war. Und was das anging, war er guter Durchschnitt.
    Der Hunger schnürte mir den Magen zu, und altbackenes Brot für ein Scherflein würde da nicht viel ausrichten. Ich überlegte gerade, in eine andere Straße umzuziehen, als ich sah, wie ein Junge zu einem jüngeren Bettler lief. Die beiden redeten aufgeregt miteinander und eilten dann davon.
    Ich folgte ihnen natürlich, wenn auch längst nicht mit der glühenden Neugier, die mir früher einmal eigen gewesen war. Doch schließlich konnte alles, was die beiden mitten am Tage von einer belebten Straßenkreuzung fortlockte, lohnend für mich sein. Vielleicht teilten die Tehlaner Brot aus. Oder ein Obstkarren war umgekippt. Oder es wurde jemand gehenkt. Das wäre eine halbe Stunde wert gewesen.
    Ich lief den Jungen hinterher, bis ich sie eine Treppe hinunter in den Keller eines ausgebrannten Gebäudes flitzen sah. Ich blieb stehen, der matte Funke meiner Neugier von gesundem Menschenverstand gelöscht.
    Wenig später kamen sie wieder heraus, beide mit einem Laib Brot in der Hand. Ich sah sie lachend vorübergehen. Der jüngere, der höchstens sechs Jahre alt war, sah, dass ich guckte, und winkte mir zu.
    »Da ist noch mehr«, rief er, den Mund voller Brot. »Aber beeil dich.«
    Mein gesunder Menschenverstand vollzog eine Kehrtwende, und ich stieg vorsichtig hinab. Am Fuße der Treppe lagen ein paar morsche Bretter, das einzige, was von der eingeschlagenen Tür noch übrig war. Drinnen erblickte ich einen kurzen Flur, der in einen schummrig beleuchteten Raum führte. Ein kleines Mädchen schob sich an mir vorbei, ohne hochzusehen. Auch sie hielt ein Stück Brot in der Hand.
    Ich stieg über die Türtrümmer in die feuchtkalte Dunkelheit. Nach einigen Schritten hörte ich ein leises Stöhnen, das mich erstarren ließ. Es klang fast wie ein Tier, aber mein Ohr verriet mir, dass es aus der Kehle eines Menschen kam.
    Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte – jedenfalls nicht das, was ich dort vorfand. Zwei alte, mit Fischtran betriebene Lampen warfen schummrige Schatten an die dunklen Wände. In dem Raum standen sechs Pritschen, und

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