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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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überstanden, um sich von mir groß verletzen zu lassen. Mit einem Fingernagel riss ich ihm eine blutige Wunde von einem Ohr zum Kinn. Dann war er über mir, drückte mich rückwärts, bis ich an die Mauer knallte.
    Ich prallte mit dem Kopf an einen Ziegelstein und wäre zu Boden gegangen, hätte Pike mich nicht an die bröckelnde Mauer gepresst. Ich schnappte nach Luft, und erst da wurde mir klar, dass ich die ganze Zeit über geschrien hatte.
    Er stank nach altem Schweiß und ranzigem Fett. Mit den Händen nagelte er mir die Arme an die Seiten und presste mich an die Mauer. Vage war mir bewusst, dass er meine Laute hatte fallen lassen.
    Ich schnappte wieder nach Luft und schlug blindlings um mich, knallte dabei wieder mit dem Kopf an die Mauer. Dann klemmte mein Gesicht an seiner Schulter, und ich biss fest zu. Ich spürte seine Haut unter meinen Zähnen reißen, und ich schmeckte Blut.
    Pike schrie auf und riss sich von mir los. Ich atmete durch und zuckte bei dem stechenden Schmerz in meiner Brust zusammen.
    Ehe ich etwas tun oder einen klaren Gedanken fassen konnte, packte mich Pike erneut. Er knallte mich an die Mauer – einmal, zweimal. Mein Kopf flog hin und her. Dann griff er mich bei der Kehle, wirbelte mich herum und schleuderte mich zu Boden.
    In diesem Moment hörte ich das Geräusch, und die ganze Welt schien stillzustehen.

    Nach dem Mord an meiner Truppe träumte ich manchmal von meinen Eltern, wie sie lebten und sangen. In meinem Traum war ihr Todein Missverständnis gewesen, eine Szene aus einem neuen Stück, das sie probten. Und für kurze Zeit war ich erlöst von der großen, alles überdeckenden Trauer, die ununterbrochen auf mir lastete. Ich schloss sie in die Arme, und wir lachten über meine törichten Sorgen. Ich sang mit ihnen, und für einen Augenblick war alles wunderbar. Wunderbar.
    Doch dann erwachte ich jedes Mal allein in der Dunkelheit, an jenem Weiher im Wald. Was machte ich hier draußen? Wo waren meine Eltern?
    Dann fiel mir alles wieder ein, wie eine Wunde, die erneut aufreißt. Sie waren tot, und ich war mutterseelenallein. Und die große Last, die einen Moment lang von mir genommen war, drückte mich wieder nieder, und diesmal schlimmer als zuvor, denn ich war nicht darauf vorbereitet. Dann lag ich dort auf dem Rücken und starrte in die Finsternis, und die Brust tat mir weh, und das Atmen fiel mir schwer, und ich wusste, dass es nie wieder gut werden würde.
    Als Pike mich zu Boden schleuderte, war mein Körper schon beinahe zu betäubt, um zu spüren, dass ich die Laute meines Vaters unter mir zermalmte. Es klang wie ein sterbender Traum, und ich spürte wieder diesen mit Atemnot verbundenen Schmerz in der Brust.
    Ich blickte mich um und sah, dass Pike sich schwer atmend die Schulter hielt. Einer der Jungen hockte dem anderen auf der Brust. Sie rangen nicht mehr miteinander, sondern guckten beide verblüfft zu mir herüber.
    Ich starrte wie benommen auf meine Hände, die bluteten, wo Holzsplitter in die Haut gedrungen waren.
    »Der kleine Scheißkerl hat mich gebissen«, sagte Pike leise, so als könnte er nicht so ganz glauben, was gerade geschehen war.
    »Geh runter von mir«, sagte der Junge, der rücklings auf dem Boden lag.
    »Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht solche Dinge sagen. Jetzt schau dir an, was dabei rauskommt.«
    Pike verzog sein puterrotes Gesicht. »Gebissen!«, schrie er und versuchte mir gegen den Kopf zu treten.
    Ich versuchte ihm auszuweichen, ohne die Laute noch weiter zu beschädigen. Sein Tritt traf mich in der Nierengegend und schleuderte mich zurück auf die Lautentrümmer, die noch weiter zersplitterten.
    »Siehst du jetzt, was dabei rauskommt, wenn du den Namen Tehlus missbrauchst?«
    »Halt doch die Schnauze mit deinem Tehlu. Geh runter von mir und schnapp dir das Ding. Vielleicht ist es Diken immer noch was wert.«
    »Schau, was du angerichtet hast!«, schrie der über mir stehende Pike. Sein nächster Tritt traf mich in der Seite. Mein Gesichtsfeld trübte sich an den Rändern. Es war fast eine willkommene Ablenkung für mich. Doch der tiefere Schmerz blieb. Ich ballte meine blutigen Hände zu schmerzenden Fäusten.
    »Diese Knöpfe sehen noch ganz gut aus. Die sind aus Silber oder so, dafür kriegen wir bestimmt noch was.«
    Pike zog seinen Fuß wieder zurück. Ich versuchte, schützend die Hände zu heben, aber meine Arme zuckten nur, und Pike trat mir in die Magengrube.
    »Schnapp dir das da …«
    »Pike! Pike!«
    Pike trat mir noch

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