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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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alle waren belegt. Zwei Kleinkinder, fast noch Säuglinge, teilten sich eine Decke auf dem Steinboden, und ein weiteres Kleinkind hatte sich in einem Lumpenhaufen zusammengerollt. Ein Junge in meinem Alter saß in einer dunklen Ecke und drückte den Kopf an die Wand.
    Einer der Jungen regte sich auf seiner Bettstatt, so als schliefe er unruhig. Doch mit der Art, wie er sich bewegte, stimmte etwas nicht.Als ich genauer hinsah, erkannte ich, woran das lag. Er war ans Bett gefesselt. Sie alle waren ans Bett gefesselt.
    Er sträubte sich gegen die Fesseln und gab dabei den Laut von sich, den ich auf dem Flur gehört hatte – ein langgezogenes Stöhnen. »Aaaaaaabaaaaaaah.«
    Einen Moment lang konnte ich nur noch an all die Geschichten denken, die ich über den Herzog von Gibea gehört hatte, der mit seinen Männern zwanzig Jahre lang Menschen entführt und gefoltert hatte, bis die Kirche eingeschritten war und der Quälerei ein Ende bereitet hatte.
    »Was denn, was denn«, erklang aus einem anderen Raum eine Stimme.
    Der Junge sträubte sich wieder gegen seine Fesseln. »Aaaabeeeeh.«
    Ein Mann kam zur Tür herein und wischte sich vorn an seinem zerlumpten Gewand die Hände ab. »Was denn, was denn«, sagte er noch einmal. Seine Stimme klang alt und müde, aber vor allem geduldig. So geduldig, wie eine Katzenmutter mit ihren Jungen war.
    »Was denn, was denn. Ganz ruhig, Tanee. Ich war nicht weg, war nur woanders. Jetzt bin ich wieder da.« Seine Füße schlappten über den Steinboden. Er war barfuß. Ich spürte, wie die Anspannung langsam von mir wich. Was auch immer hier vorging – es war offenbar längst nicht so finster, wie ich erst gedacht hatte.
    Als der Junge den Mann sich nähern sah, hörte er auf, sich gegen die Fesseln zu sträuben. »Eeeeeuuh«, sagte er.
    »Was?« Diesmal war es eine Frage.
    »Eeeeeuuh.«
    »Hmmmm?«
    Der Mann sah sich um und erblickte mich. »Oh. Hallo.« Dann wandte er sich wieder dem im Bett liegenden Jungen zu. »Na, du bist heute aber ein kluges Kerlchen. Tanee hat mich gerufen, damit ich sehe, dass wir Besuch haben!« Tanee strahlte übers ganze Gesicht und stieß ein schmerzhaft klingendes Lachen aus.
    Der barfüßige Mann wandte sich wieder an mich und sagte: »Ich erkenne dich nicht. Warst du schon einmal hier?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nun, ich habe etwas Brot, nur zwei Tage alt. Wenn du etwasWasser für mich trägst, bekommst du so viel davon, wie du essen kannst.« Er sah mich an. »Klingt das verlockend?«
    Ich nickte. Ein Stuhl, ein Tisch und eine Tonne waren neben den Pritschen das einzige Mobiliar im Raum. Und auf dem Tisch lagen vier große, runde Brote.
    Der Mann erwiderte mein Nicken und ging zu dem Stuhl. Er setzte seine Schritte sehr vorsichtig, so als würden ihm die Füße wehtun.
    Nachdem er sich gesetzt hatte, wies er auf die Tonne und auf eine Tür. »Da hinten gibt es eine Pumpe und einen Eimer. Aber du musst dich nicht beeilen.« Er schlug die Beine übereinander und begann den entsprechenden Fuß zu massieren.
    Durchblutungsstörungen , dachte ein lange nicht mehr genutzter Teil meines Geistes. Erhöhte Infektionsgefahr und erhebliche körperliche Beschwerden. Füße und Beine sollten hochgelegt, massiert und mit einem warmen Aufguss bestrichen werden, zubereitet aus Weidenrinde, Kampfer und Pfeilwurz .
    »Mach den Eimer nicht zu voll. Ich will nicht, dass du dir wehtust oder etwas verschüttest. Es ist schon feucht genug hier unten.« Er setzte den Fuß wieder ab und bückte sich, um ein Kleinkind aufzuheben, das sich auf der auf dem Boden liegenden Decke regte.
    Während ich die Tonne füllte, blickte ich hin und wieder verstohlen zu dem Mann hinüber. Er hatte graues Haar, war aber dennoch und trotz seines langsamen, vorsichtigen Gangs noch nicht allzu alt. So um die vierzig vielleicht. Er trug ein langes Gewand, das an so vielen Stellen ausgebessert war, dass man seine ursprüngliche Form und Farbe nicht mehr erkannte. Er war zwar fast so zerlumpt wie ich, aber sauberer. Ich will damit nicht sagen, dass er sauber war, nur sauberer als ich. Aber das war auch keine Kunst.
    Er hieß Trapis. Das Flickengewand war das einzige Kleidungsstück, das er besaß. Er verbrachte fast seine gesamte wache Lebenszeit in diesem feuchten Keller und kümmerte sich um die Kinder, mit denen sich sonst niemand abgeben mochte. Es waren größtenteils kleine Jungen. Manche, wie Tanee, mussten gefesselt werden, damit sie sich nicht selbst verletzten oder aus dem Bett

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