Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis
Luft, als Madame Mauvais vor das Feuer trat und die Arme ausstreckte, sodass ihre langen Ärmel wie goldene Schwingen herunterhingen. Sie schien ihre Worte direkt zum Himmel zu richten, als sie rief: »Dreimal Größter Hermes – höre mich!«
Da so gut wie jeder Madame Mauvais gebannt beobachtete, bemerkten nur wenige den kleinen Gegenstand – eine Glasphiole, um genau zu sein –, der wie aus dem Nichts auftauchte, als sei er die Antwort auf ihr Flehen. Und genauso bemerkten nur wenige, dass eine kleine purpurrote Flamme aufflackerte, als das Fläschchen in die Feuerschale fiel.
Aber fast alle registrierten den süßen, blumigen Duft, der sich im Raum ausbreitete. Die meisten warfen ihrem Nachbarn einen vorwurfsvollen Blick zu, als habe der ein besonders aufdringliches Parfüm aufgelegt.
Dr. L, der sich über Benjamin beugte und an dessen Nase herumfingerte, hob nur kurz den Kopf und schnüffelte. Dann wandte er sich wieder Benjamin zu, vermutlich, weil er das Gleiche dachte wie alle anderen.
Madame Mauvais schien nichts von alldem zu bemerken.
»Die Ägypter nannten dich Thoth. Die Griechen nannten dich Hermes. Die Römer nannten dich Merkur«, sagte sie beschwörend mit weit ausgebreiteten Armen.
Die nächste Phiole fiel vom Himmel herunter – diesmal sahen es mehrere Leute –, und als sie in die Feuerschale fiel, gab es eine blassgrüne Stichflamme. Ein zarter, fast medizinischer Kräuterduft breitete sich aus, und wenn du öfter erkältet bist, wirst du ihn vermutlich kennen.
Wieder hob Dr. L den Kopf, diesmal allerdings etwas länger. Nachdenklich sog er die Luft ein. Dann schüttelte er den Kopf, wie um ein düsteres Traumbild zu verscheuchen, und setzte das Röhrchen an Benjamins Nase. Gleich würde er mit dem Eingriff beginnen.
Madame Mauvais hatte nur einen kurzen Augenblick lang gezögert, bevor sie laut rief: »Hermes Trismegistos, wir rufen zu dir. Offenbare uns dein letztes Geheimnis!«
Als die dritte Phiole herunterfiel, deuteten einige der Anwesenden darauf, denn ihre Aufmerksamkeit galt inzwischen nicht mehr dem Altar. Eine dunkelblaue Flamme loderte auf und alle im Raum hielten den Atem an. Dann stiegen schwarze Rauchkringel auf und es roch nach Lakritze.
Die Zuschauer applaudierten laut. Alles war, so glaubten sie, Teil der Show, die Dr. L für sie bereithielt.
Auch Dr. L kümmerte sich nicht länger um die Operation. Beifall klatschte er jedoch nicht. Er sah verwundert drein, ja fast niedergeschmettert, so als hätte er gerade eine schreckliche Nachricht bekommen.
»Was ist los?«, fragte Madame Mauvais ihn argwöhnisch. »Woher kommt das?«
Oben auf der Pyramidenspitze sagte Max-Ernest aufgeregt zu Kass: »Es funktioniert! Wie findest du das? Und jetzt das F!«
Kass nahm die Phiole mit Fenchel in die Hand und ließ sie rasch durch die Fensterluke fallen.
»Und nun der letzte Buchstabe«, flüsterte Max-Ernest aufgeregt.
»Aber wo...?«
»Es war Erdnussbutter, erinnerst du dich nicht? H-I-L-F-E. Heliotrop. Igelkopf. Lakritze. Fenchel. Erdnussbutter.«
»Ich weiß, dass es Erdnussbutter war. Aber ich finde das Fläschchen nicht. Es sollte die Nummer zwanzig sein.«
Sie zeigte auf den leeren Platz in der aufgeklappten Kiste. Max-Ernest fing an, die Kiste zu durchsuchen, er drehte Fläschchen um, las Etiketten.
»Es muss hier irgendwo sein. Es muss...«
»Oh, warte mal!«, rief Kass. Sie griff in ihren Rucksack, wühlte ganz unten am Boden und zog eine wiederverschließbare Tüte mit altem, zermatschtem Studentenfutter hervor. Dann fischte sie fünf angetrocknete, gequetschte Erdnussbutterteilchen heraus und zeigte sie Max-Ernest.
»Meinst du, damit geht’s auch?«
»Keine Ahnung, vielleicht ist es nicht kräftig genug. Wie wär’s, wenn du sie mit einem anderen Aroma vermischst?« Er sah in der Holzkiste nach und nahm ein Fläschchen heraus. »Hier. Butteraroma.«
»Probier es aus.«
»Ich?«
Kass nickte.
Max-Ernest stopfte die Erdnussbutterkrümel in das Fläschchen und hielt es an die offene Dachluke.
»Hier kommt – oh nein!«
In seiner Aufregung hatte er viel zu früh losgelassen. Die Phiole fiel schräg zur Seite und würde nicht im, sondern neben dem Feuer landen...
Doch dann schlug sie gerade noch am Rand der Schale auf und purzelte in die Flammen.
Kass und Max-Ernest warteten atemlos, bis es endlich schwachgelb aufflackerte. Gleich darauf wurde das Erdnussbutteraroma freigesetzt. Es war nicht so stark wie die anderen Düfte, aber kräftig genug, dass es
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