Der Narr und der Tod
aber leider gelang mir das nicht, was ich auch kopfschüttelnd eingestand. „Ich kann dir nicht folgen, Martin.“
Im Bad lief das Wasser nicht mehr.
„Der Polizei gegenüber wird er alles so darstellen, dass er in einem möglichst guten Licht dasteht.“ Martin redete schnell, auch ihm war aufgefallen, dass es in den Wasserrohren des Gästebads nicht mehr zischte. „Er gibt selbst zu, seit Jahren kleinere Probleme mit dem Gesetz zu haben. Das liegt bei ihm in der Familie, auch sein Dad und dessen Vater haben jeweils eine Zeitlang im Knast gesessen. Ich habe den Namen seines Vaters wiedererkannt, als er uns Craigs Familienverhältnisse erklärte. Die Thurlkills, die Familie seiner Mutter, sind genauso schlimm, wenn nicht noch schlimmer. Rory kennt sich aus, er wird niemandem irgendetwas erzählen, was er nicht erzählen möchte.“
„Also? Was haben wir davon, wenn wir ihn mitnehmen?“
„Vielleicht erzählt er ja uns etwas. Vielleicht bekommen wir selbst heraus, was Craig und Regina angestellt haben, wenn wir erst mal bei ihnen zu Hause sind. Vielleicht fällt uns ein, wie wir aus der Misere herauskommen, ohne gleich noch mehr Probleme für Regina zu schaffen. Mehr Probleme, als sie sowieso schon hat ...“ Martin schien zu dämmern, dass Reginas momentane Probleme schon mehr als genügten, deshalb ließ er den letzten Satz unbeendet.
„Aber warum sollte Rory uns irgendetwas erzählen?“
„Das weiß ich auch nicht, ich kann nur hoffen, er tut es. Craig ist tot, vielleicht beeinflusst ihn das. Außerdem sind wir nicht das Gesetz, wir können weder seine Bewährung widerrufen noch ihn für irgendetwas bestrafen. Wenn wir ihn aus der Sache heraushalten, soweit es den Arm der Justiz betrifft, revanchiert er sich vielleicht mit Informationen.“
Zu dieser Theorie fiel mir nur ein einziger Kommentar ein, und zwar kein besonders höflicher.
Was war aus meinem entscheidungsfreudigen Mann geworden, der gern sämtliche Aspekte einer Frage in Betracht zog und berücksichtigte? Wie konnte er auf einmal so gutgläubig, so blauäugig sein? Wahrscheinlich nur, weil das hier seine Familie betraf. Aber hatte sich Martin je meinetwegen wie ein Narr benommen? Meiner Meinung nach nicht. Bedeutete das, er liebte seine Schwester und seine Nichte mehr als mich? Oder seinen Sohn? Was war mit seiner ersten Frau? Während ich meinen Mann so ansah, durchlebte ich einen Augenblick der reinen, völlig irrationalen Wut. Dann atmete ich erneut tief durch und rief mir ins Gedächtnis, dass Martin erst wenige Stunden zuvor einen schweren Schock erlitten hatte. Vermutlich fühlte er sich für den Tod des jungen Craig irgendwie verantwortlich. Außerdem war seine Nichte verschwunden, vielleicht sogar ebenfalls tot – was wussten wir schon?
Bleib ruhig und gelassen, riet ich mir selbst. Ruhig und gelassen.
Nur war es um meine Ruhe und Geduld nicht gut bestellt. Ich musste befürchten, dass sie mir schon zu bald endgültig abhanden kommen würden.
Erneut hörte ich Hayden oben leise Geräusche von sich geben. Abermals stieg ich die Treppe hinauf und auch wieder hinunter. Nur brachte ich den Kleinen diesmal mit, fein säuberlich in die einzige Decke gewickelt, die Regina mitgebracht hatte. Jetzt war Hayden ganz eindeutig wach. Ich setzte mich mit ihm auf dem Arm an den Tisch und betrachtete das kleine Bündel.
Haydens Händchen flatterten, seine blauen Augen standen weit offen. Er gab diese leisen, aufgeregten Laute von sich, die, wie ich langsam lernte, schon bald zu lauten Schreien anwachsen würden. Meine Nase verriet mir, dass er eine neue Windel brauchte. Danach würde er nach seinem Fläschchen verlangen, darauf hätte ich gutes Geld verwettet. Aber wir hatten nur noch eines von Reginas vorbereiteten Fläschchen. Wo konnte man Babynahrung kaufen? Gab es die in jedem Supermarkt?
„Ich wünschte, wir könnten ein Weilchen hochgehen“, seufzte Martin sehnsüchtig. Das klang nicht so, als wäre er plötzlich scharf auf mich, sondern eher so, als sehne er sich nach dem Schlaf des Vergessens.
„Träum weiter!“ Ich lachte höhnisch. Hatte Regina Pulver verwendet, als sie Haydens Flasche zubereitete? Oder ein flüssiges Konzentrat? War der Hauptbestandteil Milch oder Soja gewesen? Ich musste im Müll nach der Dose suchen.
Mein unerwarteter Sarkasmus schien meinen Mann zu überraschen, jedenfalls sah er mir verwundert zu, als ich Hayden aufnahm und ihn ins Wohnzimmer trug, um seine Windel zu wechseln.
Dort stand Rory mit der
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