Der Narr und der Tod
war. Gekonnt befreite ich Hayden von der stinkenden Windel, wischte seinen Po und wickelte ihn neu. Die verschmutzten Wischtücher packte ich in die Windel, die ich daraufhin aufrollte und wieder verschloss – eine Perfektionierung des Vorgangs, auf die ich extrem stolz war.
„Gut gemacht“, lobte Sally, die mir gefolgt war. Sie nahm mir die dreckige Windel ab und marschierte damit durchs Esszimmer in die Küche, um sie im Müll zu entsorgen. Kurz darauf hörte ich Wasser rauschen, als sie ihre Hände wusch.
„Weiß Martin das mit dem Wagen?“, rief ich ihr nach.
Sally warf mir einen seltsamen Blick zu, den ich in Teilen noch mitbekam, als sie sich wieder zu mir ins Wohnzimmer gesellte. „Ja. Der Sheriff ist gekommen, um es ihm zu sagen. Die beiden unterhalten sich draußen im Garten.“
Im Garten? Warum unterhielt sich Martin mit dem Sheriff draußen? Es war kalt und windig und ... oh, Mist! Wo war unser ungebetener Hausgast?
„Was ist?“ Sally hatte wie immer ganz genau aufgepasst.
„Nichts!“, verkündete ich strahlend, während ich auf der Suche nach Rory rasche Blicke Richtung Flur, Esszimmer und Küche warf. Als mein Blick zu Sally zurückkehrte, wirkte sie gelinde gesagt skeptisch.
„Du sagst, du hättest keine Ahnung, was passiert ist?“ Sallys Stimme stand ihrem Blick an Skepsis in nichts nach. „Tut mir leid, Roe, aber das passt nicht zu dir.“
„Hör mir gut zu, Sally Allison: Ich habe jede Menge Probleme am Hals, rede mir jetzt nicht noch weitere ein!“ Dann begann ich zu weinen. Etwas anderes fiel mir nicht ein, aber ein besseres Ablenkungsmanöver war auch kaum vorstellbar. Während Hayden auf dem Couchtisch lag und sich mit immer schwerer werdenden Augen umsah, tätschelte Sally beherzt meine Schulter.
Ich erzählte Sally alles, beichtete meine seltsam emotionalen Reaktionen auf die Geschehnisse vom Vortag, schilderte ihr haarklein, wie es mir ging und wie meine Misere ihren Höhepunkt gefunden hatte, als meine Mutter früh am Morgen mit ihren eigenen schrecklichen Neuigkeiten an meine Küchentür klopfte.
Je mehr ich mein Innerstes nach außen kehrte, desto weniger sanft fiel Sallys Tätscheln aus. Bald war es so, als würde sie mich nicht mehr liebvoll streicheln, sondern tadelnde Klapse austeilen.
„Was?“ Ich sah auf, meine Freundin beäugte mich keineswegs mitleidig, sondern eher ungehalten.
„Es geht nicht um dich, wie?“, sagte sie.
„Was?“
„All das! Dein Stiefvater ist krank, also macht sich deine Mutter hauptsächlich Sorgen um ihn, was ja nur richtig ist. Die Nichte deines Mannes ist verschwunden und ihr Mann ist tot, daher denkt Martin mehr an seine Familie als an dich – zur Abwechslung mal, muss ich sagen.“
Ich starrte Sally an wie ein Fisch, der sich unversehens auf dem Trockenen wiederfand. War ich wirklich so selbstsüchtig? Oder war Sally die ganzen Jahre über neidisch auf mich gewesen und ich hatte es nicht gemerkt? Ich kam mir vor, als liefe ich durch ein vermintes Feld und der Soldat hinter mir hätte angefangen, Steine über meine Schulter zu werfen.
„Weißt du, Sally, jetzt ist vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, mich über meine charakterlichen Defizite aufzuklären“, sagte ich, so ruhig es ging. „Eigentlich hatte ich erwartet, dass du mich ein armes Ding nennst und mir versprichst, dass alles wieder gut wird. Stattdessen bezeichnest du mich als selbstsüchtige Schlampe, die sich für den Mittelpunkt der Welt hält.“
Obwohl ich mich gegen Sallys Anwürfe wehrte, dachte ich doch gleichzeitig auch darüber nach, ob sie berechtigt sein könnten. War ich so, wie sie es mir vorwarf? Sahen mich alle so, wie sie es tat? Mein Gott! Hatten all meine Freunde in all den Jahren mich für zwar ganz in Ordnung, aber total egozentrisch gehalten?
Immerhin schien Sally selbst leicht entsetzt über das, was sie gesagt hatte. Aber zurücknehmen mochte sie ihre Worte auch nicht. „Roe, mein Timing stinkt zum Himmel, wofür ich mich ausdrücklich entschuldigen möchte. Aber dir war einfach nie klar, wie gut du es immer hattest. Deine Mutter tut alles für dich, außer dir den Hintern abzuwischen, und dein Mann denkt nicht nur, er müsste dich beschützen und verwöhnen, er hat außerdem noch Geld.“
„Ist das etwa meine Schuld?“
„Nein!“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber es ist deine – Verantwortung.“ Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und keuchte erschrocken auf. „Stadtratsitzung! Ich muss los, Roe. Wir sehen uns.“ Mit
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