Der Narr und der Tod
mit den Armen und gab leise Laute von sich – ‚eh, eh ‘ und eine Art quietschendes Grunzen schien er am meisten zu lieben. Vorsichtig streichelte ich seine runde Wange. Wie weich die Haut war. Oben am Kopf konnte ich durch das dünne, daunenweiche Haar hindurch die pulsierende Stelle erkennen, wo sein Schädel noch nicht ganz zusammengewachsen war. Das mit der Schädeldecke hatte mir Lizanne erklärt. Wie unendlich verletzlich dieses kleine Leben war.
Urplötzlich überkam mich der seltsame Drang, meinen Freund und Beichtvater Aubrey Scott anzurufen, damit er Hayden taufte. Eine absurde Idee, wie mir rasch klar wurde. Total absurd. Hätte ich die Hände frei gehabt, dann wäre jetzt eine saftige Ohrfeige fällig gewesen. Man durfte sich auch mal selbst eine runterhauen, wenn das beim Denken half. Keine Taufe der Welt konnte Hayden zu einer Schutzhülle aus Zuckerguss verhelfen, er war doch kein Schokobonbon. Außerdem – wenn ich die Verantwortung für die Taufe dieses Kindes übernahm, gestand ich mir doch faktisch ein, dass ich nicht mehr mit der Rückkehr seiner Mutter rechnete. Ein schrecklicher Gedanke.
Trotzdem hätte ich mich besser gefühlt, wenn ich mich klammheimlich in die Kirche schleichen und Aubrey ebenso still und heimlich ein bisschen Weihwasser auf das Baby hätte tröpfeln können. Der kleine Hayden Graham, Sohn von Craig Graham und dessen Frau Regina – wenn er denn überhaupt der Sohn dieser beiden war –, brauchte alles an Hilfe, was er auch nur bekommen konnte.
Weil ich absolut sicher war, dass niemand zuhörte, beugte ich mich ein bisschen näher zu Haydens Gesicht hinunter und flüsterte ihm zu, er sei ein kleiner Schatz, ein absolutes Zuckerschnütchen. Seine blassblauen Augen richteten sich auf mich und er strahlte mich an. Daraufhin schlug mein Herz so stürmisch, als hätte ich mich gerade frisch verliebt. Ich strahlte Hayden ebenfalls an, mindestens so übertrieben begeistert wie der Moderator einer Show im Kinderfernsehen.
„Wenn du das länger machst, fallen dir die Lippen ab“, sagte hinter mir Sally Allison.
Erschrocken fuhr ich herum. „Wieso erschreckst du mich so, Sally? Menschenskind, ich wäre vor Schreck fast aus den Latschen gekippt!“
„Tut mir leid. Du und der Tiny Tim da, ihr habt nur gerade so putzig ausgesehen.“ Sally kam näher, um sich das Bündel auf meinem Schoß genauer anzusehen.
„Dann hast du wohl von unserem Dilemma gehört.“
„Die bezaubernde Reporterin Sally Allison hört alles und erzählt das meiste auch weiter.“
„Weißt du etwas Neues?“ Nachdem Sally gesehen hatte, was sie hatte sehen wollen, warf sie sich in Martins Lieblingssessel, während mein Blutdruck langsam wieder auf Normalniveau sank.
„Jawohl. Die Polizei hat Reginas Wagen gefunden.“
„Was?“
„Du hast mich schon richtig verstanden.“ Sally strich sich mit der Rechten vorsichtig über die bronzenen Locken, eine sehr verhaltene Geste, die die Rundbögen, die besagte Locken auf ihrem Kopf bildeten, ganz gewiss nicht zum Einsturz bringen würde. Sally glättete nicht, sie suchte nach Löchern im Aufbau. Als Nächstes würde sie ihre Puderdose aus der Tasche ziehen und sich die Nase pudern, dann war die Suche nach dem Lippenstift dran, um ihre Lippen nachzuziehen. Haare, Puder, Lippenstift – so lautete Sallys persönliche Checkliste. Während sie die Puderdose aufklappte, fuhr sie fort: „Der Wagen stand in South Carolina, gleich hinter der Staatsgrenze.“
„Irgendetwas Neues über Regina?“
Sally schüttelte den Kopf. „Nein, Liebes, es tut mir leid. Aber eine gute Sache kann ich dir noch verraten: Man hat im Auto keine Blutspuren gefunden.“ Sally schlug vorsichtig die Beine übereinander und strich den Rock ihres teuren, grünen Kostüms glatt.
Hayden lächelte mich noch einmal an, wobei mir langsam dämmerte, dass er nicht besonders gut roch. Nicht besonders gut war eigentlich noch milde ausgedrückt.
„Ich kann mir einfach nicht vorstellen, was passiert sein könnte.“ Ich war nur noch halb bei der Sache, rutschte ich doch gerade unbeholfen an den Rand der Couch vor, um mit dem Baby auf dem Arm aufstehen zu können. Nachdem ich das zustande gebracht hatte, trug ich den Kleinen ins Wohnzimmer, das ich inzwischen endgültig als idealen Ort zur Aufbewahrung der Wickeltasche und der gummierten Unterlage auserkoren hatte, auf die man Hayden legen sollte, ehe man ihm die Windel auszog – die Erfahrung hatte mich gelehrt, wozu diese Unterlage gut
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