Der Narr und der Tod
immer hatte zählen können: meine beste Freundin Amina.
Sie war mit einem Anwalt in Houston verheiratet und Mutter eines wunderschönen, kleinen Mädchens namens Megan, dessen Patentante ich war. Amina war Einzelkind, ihr Mann der Älteste von zwei Geschwistern. Die beiden verwöhnten die kleine Megan nach Strich und Faden. Sie war inzwischen zwei, laut Amina ein fürchterliches Alter, und von Zeit zu Zeit drohten ihre Eltern mit einem Geschwisterchen.
„Amina!“ Die Erleichterung war mir anzuhören, als meine Freundin ans Telefon kam.
„Roe?“ Ihre Stimme klang seltsam gedämpft. „Ich kann nicht lange reden, Megan hat die Masern.“
Natürlich.
„Ist sie sehr krank?“ Ich versuchte, so zu tun, als sei ich zutiefst besorgt.
„Ein ganz normaler Verlauf, nehme ich mal an.“ Amina wollte tapfer sein, aber das gelang ihr nicht ganz. „Sie braucht mich nur jede einzelne Minute, oder zumindest denkt sie das. Ich habe ihr den ganzen Tag Eis gebracht und alle möglichen Spiele mit ihr gespielt. Findest du sie arg verwöhnt? Hughs Mutter behauptet so etwas.“
„Nicht verwöhnter als alle anderen Einzelkinder auch“, erklärte ich etwas grimmig. Ich war Einzelkind.
„Darum kümmern wir uns bald“, verkündete Amina mit der Zuversicht einer Frau, die in den Flitterwochen schwanger geworden war. „Gott sei Dank bin ich jetzt nicht schwanger, weil ich mich doch um sie kümmern muss und Masern sind so beängstigend, wenn man ein Kind erwartet. Verdammt, ich höre sie rufen. Schon wieder.“
Ich zog eine Braue hoch. Aminas Geduld als Krankenpflegerin schien Grenzen erreicht zu haben, was mich allerdings nicht überraschte. Amina war groß, energiegeladen und sehr attraktiv. Ich kannte sie eigentlich nur in Bewegung, mindestens ein Projekt hatte sie immer am laufen, und sobald das beendet war, stieg sie ins nächste ein.
„Ich lasse dich auch gleich wieder zu ihr“, versprach ich. „Ich brauche zuvor nur ein paar Informationen.“
„Was kann ich für dich tun?“ Aminas Flüstern war noch leiser geworden.
„Wenn man sich zwei, vielleicht auch drei Tage lang um ein Baby kümmern muss, was braucht man da alles?“
Amina dachte kurz nach. „Vier Strampelanzüge, ungefähr zwanzig Windeln ...“ Ich schrieb mit wie eine Irre, Gott sei Dank hatte ich immer einen Notizblock neben dem Telefon liegen. Die gute Amina. Sie stellte keine Fragen, was mir gerade recht war. Wenn ich mich schon nicht an ihrer Schulter ausheulen durfte, ersparte ich mir auch gern ausführliche Erklärungen.
Ich legte auf und sah nach Hayden, entdeckte auf einem der Esszimmerstühle meinen Mantel, zog ihn an und nahm meine Handtasche. Martin und Rory sahen sich im Wohnzimmer ein Footballspiel an – ob mir allerdings einer der beiden auf Nachfrage den Spielstand hätte nennen können, wagte ich zu bezweifeln. Trotzdem baute ich mich vor dem Bildschirm auf, damit ich auch wirklich ihre Aufmerksamkeit hatte.
„Martin, das Geschirr vom Mittagessen steht noch auf der Anrichte.“ Hoffentlich hörte ich mich nicht gerade an wie die letzte Xanthippe. „Erledige das bitte, während ich weg bin. Rory, Sie achten auf Hayden. Er schläft oben. Sehen Sie nach ihm, falls er aufwacht.“ Beide Männer starrten mich benommen an, also rührte ich mich erst vom Fleck, als sie mir mit einem Nicken ihr Einverständnis signalisierten.
Es war eine Freude, das Haus verlassen zu können.
Ich drehte den Sender mit Countrymusik auf volle Lautstärke und steuerte das neue kulturelle Zentrum des Südwestens an: unsere Wal-Mart-Filiale. Countrymusik schien ausgezeichnet zu meiner gedrückten Stimmung zu passen, ich hätte glatt selbst einen Song verfassen können. „Meines Liebsten Nichte erschlug grad ihren Mann“ – das wäre doch mal was anderes. Oder „Das Baby, das ich wickle – wem mag es wohl gehör’n?“ – nein, zu dem Lied fiel mir kein Refrain ein. „Ein Toter liegt auf meiner Treppe, ein Baby unter meinem Bett“– wie wäre es damit?
Immer noch lächelnd passierte ich den Türsteher am Eingang des Wal-Mart (ein Cousin der Sekretärin meines Mannes, der sich aufgrund dieser Verbindung immer verpflichtet fühlte, ein paar Worte mit mir zu wechseln), holte mir einen Einkaufswagen (der bei uns in der Gegend aus unerfindlichen Gründen „Buggy“ genannt wird) und fuhr los, immer den Mittelgang hinunter und dann rechts, in eine von mir höchst selten besuchte Ecke. Babybedarf. Anhand der Liste, die ich während des Telefonats mit
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