Der Narr und der Tod
Schulter rüttelte, vergrub ich mein Gesicht im Kissen.
„Roe?“ Martin küsste mich auf die Wange. „Es ist neun Uhr, und Hayden ist wach.“
„Kümmere dich um ihn.“
„Ich habe die Windel gewechselt.“ Martin gab sich Mühe, nicht stolz zu klingen, doch es misslang kläglich. „Ich glaube, er hat Hunger. Es sind aber keine Fläschchen mehr da.“
„Geh in den Laden und sieh nach, ob sie fertige Babynahrung verkaufen. Fertig angerührte, meine ich. Oder bring ihn zu Craigs Tante und Onkel. Sollen die sich um ihn kümmern.“
Der erbarmungslose Martin legte Hayden neben mich aufs Bett. Ich hob den Kopf vom Kissen – gerade nur so weit, dass ich die kleinen Fingerchen winken sehen konnte. Hayden schmatze und sagte „Eh“, und seine Wange war ganz nah, also küsste ich ihn und atmete den inzwischen so vertrauten Babygeruch ein. Als der Kleine strampelte, knisterte die Windel unheilverkündend: Martin hatte sie nicht richtig zugeklebt. Mist.
Mühsam setzte ich mich auf. So fertig war ich wirklich selten gewesen. „Ich war letzte Nacht mit ihm auf“, brummte ich mit dem vorwurfsvollsten Blick in Richtung meines Mannes, den ich aufsetzen konnte. „Während du schliefst!“ Nur für den Fall, dass ihm das entgangen sein sollte. In meinem Herzen regte sich keine Spur Mitgefühl für Martin, es war mir egal, dass seine Nichte verschwunden und deren Mann tot war. Martin hatte schlafen dürfen, ich nicht.
„Ich gehe nachsehen, ob es irgendwo fertige Babynahrung gibt“, sagte mein Mann eilig. „Welche soll ich holen?“
Ich zwang ihn, sich das aufzuschreiben, und rief ihm nach, er solle sich beeilen – falls er die Dringlichkeit nicht längst erfasst hatte, denn Hayden äußerte seine Bedürfnisse lautstark.
Es war zwecklos, noch schlafen zu wollen. Ich fand einen Schnuller, stopfte ihn Hayden in den Mund, war froh, als ihn das zumindest kurzfristig zu beruhigen schien, und stürzte ins Bad. Dort duschte ich heiß und eilig, putzte die Zähne und war entsetzt darüber, wie viel Make-up ich auflegen musste, um halbwegs gesund auszusehen. Wieder im Zimmer angekommen schlüpfte ich in eine tabakbraune Hose und einen leuchtend gelben Pulli, der fast schon golden wirkte, nahm mir kurz Zeit, um im örtlichen Telefonbuch ein paar Nachforschungen anzustellen, und beendete meine Morgentoilette anschließend, indem ich mich mit meinen Ringen, einer Kette, einem Paar Ohrringe, meiner Goldrandbrille, Socken und Halbschuhen ausstaffierte. Kaum war ich halbwegs hergerichtet, da tauchte Martin schon wieder auf, in der Hand eine Tüte, in der sich saubere Fläschchen und ein paar Dosen fertig angerührte Babynahrung befanden.
„Du glaubst nicht, was ich dafür bezahlen musste!“, sagte er ziemlich entrüstet.
„Du glaubst nicht, wie egal mir das ist. Hast du einen Dosenöffner mitgebracht?“, fragte ich hektisch.
Mit einer triumphierenden Geste zauberte er einen aus der Tüte, was ihm einen dicken, von Herzen kommenden Kuss auf die Wange eintrug. Den hätte Martin gern in etwas Bedeutungsvolleres umgewandelt, doch ich hörte, wie Hayden sich hinter uns erneut warmlief.
„Jetzt wird es ernst.“ Wieder geriet ich leicht in Panik. „Schnell, wir müssen die Flasche fertigmachen!“
Gemeinsam schafften wir es in Rekordzeit, ein funkelnagelneues Fläschchen mit funkelnagelneuer Babynahrung zu füllen, und bald darauf nuckelte Hayden zufrieden und still vor sich hin. Während ich ihm dabei Hilfestellung leistete, fahndete Martin im Telefonbuch nach der Adresse der Harbors, die Craig nach dem Tod seiner Eltern bei sich aufgenommen hatten.
„Vielleicht sind sie gerade unterwegs nach Lawrenceton.“ Das war mir eben erst eingefallen – eine furchtbare Vorstellung. „Vielleicht sind sie schon los, um Craigs Leiche abzuholen.“
„Nein.“ Martin löste den Blick nicht von den Spalten im Telefonbuch. „Padgett Larnier sagte, Craigs Bruder habe sich bei ihm erkundigt, wie er die Leiche nach der Autopsie nach Corinth überführen lassen könne.“
Eine Woge der Erleichterung schlug über mir zusammen. Dann waren die Leute, die Craig zum Teil großgezogen hatten, nach wie vor hier in Corinth und konnten helfen. Wahrscheinlich hätte ich Mitleid mit den Harbors haben sollen, die immerhin einen schweren Verlust verarbeiten mussten, aber das kam mir überhaupt nicht in den Sinn. Ich sah in ihnen nur die Leute, bei denen wir ein Baby abladen konnten. Ich schämte mich noch nicht einmal dafür, so zu
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