Der Narr und der Tod
einen Tick Lebhaftigkeit bescherte, wie ich mit einem Blick in den Spiegel feststellen konnte. Gute Brille. Sie schaffte es fast immer, mich aufzuheitern.
„Warum schmollst du eigentlich?“, befragte ich mein Spiegelbild.
Die Frage blieb unbeantwortet, da es in diesem Moment an der Haustür klingelte.
Anscheinend schien mich heute die halbe Welt besuchen zu wollen. Die Leute aus dem Sheriffbüro waren sogar gleich zweimal angerückt.
Hinter der ovalen Milchglasscheibe der Haustür zeichnete sich die Silhouette einer Frau mit einer Babytrage ab. Wahrscheinlich meine Freundin Lizanne Sewell, die vor zwei Monaten einen kleinen Jungen bekommen hatte. Hastig schaltete ich die Alarmanlage aus und öffnete die Tür mit einem Lächeln, das allerdings nur allzu schnell in sich zusammensackte. Vor mir stand eine etwas untersetzte, dunkelhaarige, recht hübsche junge Frau mit einem mir total unbekannten Baby, das kleiner zu sein schien als Lizannes Nachwuchs.
„Tante Roe!“ Die Dunkelhaarige klang erschöpft, schien aber fest mit einem warmherzigen Willkommen zu rechnen.
Mir war absolut schleierhaft, wer das sein könnte.
Aber schon im nächsten Augenblick fiel der Groschen mit und wäre ich allein gewesen, so hätte ich mir mit dem Handrücken an die Stirn geschlagen. Es gab nur eine einzige junge Frau, die mich Tante nannte: Martins Nichte, die Tochter seiner Schwester Barby.
„Regina!“ Hoffentlich war mir die anfängliche Unsicherheit nicht allzu deutlich anzumerken gewesen.
„Ganz kurz habe ich gedacht, du erkennst mich nicht wieder.“ Die junge Frau lachte.
„Wo denkst du hin? Komm doch rein! Und das ist Klein ...“ Regina hatte ein Kind? Das Baby trug einen dicken roten Strampelanzug und war in eine blaue Decke gewickelt. Hatte Martin also einen ... einen Großneffen?
Wie hatte mir das entgehen können? Sicher, wir sahen Martins Schwester und ihre Tochter nicht oft, aber ein solcher Neuankömmling in der Familie kündigt sich doch durch ein gewisses Maß an Telefonaten an, oder?
„Tante Roe! Das ist Hayden.“
„Dann nennt ihr ihn also immer Hayden?“ Ich nickte, als sei damit alles erklärt. „Kein Spitzname? Keine Abkürzungen?“ War ich je in meinem Leben bei einer Unterhaltung so ins Schwimmen gekommen?
„Keine Spitznamen. Das Baby soll Hayden genannt werden, da sind Craig und ich wild entschlossen.“ Regina versuchte, wild und entschlossen zu wirken, was ihr allerdings grandios misslang.
Martin mochte vielleicht nicht allein das gute Aussehen der Familie Bartell mitbekommen haben – auch Barby und Regina waren auf ihre Art sehr hübsch –, aber was Grips und Entschiedenheit anging, so hatte er sich damit reichlich eingedeckt und den anderen kaum etwas übrig gelassen.
Ich reckte den Hals, um nachzusehen, ob Craig Graham vielleicht irgendwo draußen Gepäck aus einem Kofferraum holte. „Wo ist denn dein Mann?“, erkundigte ich mich, ohne dass mir in den Sinn gekommen wäre, dass das eine heikle Frage sein könnte.
„Nicht mitgekommen.“ Reginas üppige Lippen pressten sich fest aufeinander.
„Ach so.“ Hoffentlich klang ich nicht ganz so dämlich, wie ich mich fühlte. „Und deine Mutter? Wie geht es ihr?“ Immer noch klammheimlich nach einer möglichen Begleitperson Ausschau haltend, winkte ich Regina ins Haus. Hatte sie etwa die ganze lange Strecke von Corinth, Ohio, bis hierher allein zurückgelegt?
„Mama ist auf einer Kreuzfahrt!“, verkündete Regina einen Tick zu fröhlich. Das Mädchen litt unter ernsthaften Stimmungsschwankungen.
„Aha. Wohin denn?“ Ich wiederholte meine Willkommensgeste, diesmal mit mehr Nachdruck.
„Ach, überallhin, glaube ich, es ist eine lange Kreuzfahrt.“ Endlich hatte sich Regina entschlossen, über meine Schwelle zu treten. Dabei plapperte sie weiter munter vor sich hin. „Das Schiff legt bei ein paar karibischen Inseln an, dann geht es nach Mexiko, wo sie an zwei Stellen jeweils ein paar Tage bleiben, und dann geht es zurück nach Miami.“
„Meine Güte“, sagte ich ruhig. „Reist sie allein?“
„Sie hat diesen Typen dabei.“ Regina lud das Baby samt Tragetasche auf dem Couchtisch vor dem Sofa ab und stellte die riesige Windeltasche daneben, die sie über der Schulter getragen hatte. Die schien funkelnagelneu, jedenfalls hing der Zettel mit der Waschanleitung noch dran.
„Dieser Typ“ war Barbys Verlobter, Investmentbanker Hubert Morris. Barby Lampton, seit Jahren geschieden, hatte den Mann beim Kauf ihrer
Weitere Kostenlose Bücher