Der Narr und der Tod
Kind.“
„Meinst du das ernst?“, blaffte ich, weil ich vor Angst fast von Sinnen war. „Raus in die Kälte? Wo ich nicht weiß, wer da herumschleicht? Ich bringe den Pick-up hierher, wir laden Karl vorsichtig ein, und dann hole ich das Baby.“
„Du solltest direkt in die Stadt fahren. Ohne anzuhalten.“
„Martin, ich kann dich nicht verlassen!“, begann ich wieder und war über meinen verzweifelten Ton unglücklich.
„Geh!“, befahl er scharf. „Denk zur Abwechslung mal nicht nach.“
Er wusste etwas, das ich nicht wusste.
„Na gut.“ Ich schluckte, versuchte, nicht so weinerlich zu klingen, wie ich mich fühlte, während ich die Schlüssel nahm, die Martin mir reichte, nachdem er sie aus Karls Hosentasche gezogen hatte. Ich rannte nach oben, hüllte Hayden in Decken und verschnürte das Ganze zu einem Bündel, mit dem ich dann an der Haustür stand, zu angsterfüllt, um hinauszugehen. Als ich einen Blick zurück in die Küche warf, wo Martin neben Karl auf dem Boden saß, fand mein Mann irgendwie die Kraft, mir aufmunternd zuzunicken.
Im Nachhinein wirkt es natürlich wie der reine Irrsinn, ihn dort zurückzulassen, aber an jenem Tag war ich so aufgeregt, erschüttert und verängstigt, dass mir Martins Aufforderung irgendwie logisch erschien. Daher trat ich mit dem Kind auf dem Arm hinaus in den Schnee, obwohl ich schreckliche Angst hatte.
Die Kälte versetzte mir einen heftigen Schlag – aber es war nur die Kälte, keine Kugel. Vier Schritte später stand ich neben dem Jeep und linste durchs Fenster. Kein Handy. Jemand hatte es mitgenommen. Es gab Spuren, aber sie waren im grauen Dämmerlicht und dem Schneetreiben schwer zu erkennen. Außerdem befanden sich dort, wo vorhin die Autos gestanden hatten, jede Menge Spuren.
So setzte ich mich mitten im dichten Schneetreiben in Bewegung, Hayden auf dem Arm, der in diesem Augenblick immerhin leise war. Ich kniff die Augen zusammen, hielt angestrengt in all dem Weiß Ausschau nach Leben, konnte aber nichts entdecken. Wind kam auf, der mir die Kälte bis in die Knochen trieb und mein Gesicht wund rieb. Schneeflocken klammerten sich an der Wollmütze fest, die ich aufgesetzt hatte. An meiner Brust schniefte Hayden. Ich drückte ihn an mich.
Bis zum Gehölz war es nicht weit, nicht einmal eine halbe Meile, aber das Gehen fiel mir schwer, da der Boden uneben war und der Schnee verhinderte, dass ich sah, wohin ich trat. Auf halbem Weg merkte ich, dass ich weinte, und ich liebkoste die Wange des Babys mit den Lippen, als könnte Hayden mich trösten. Martin ging es sehr schlecht, irgendetwas stimmte mit ihm nicht, und trotzdem hatte er mich zum Gehen aufgefordert. Glaubte er, der Schütze würde zurückkommen, um sicherzustellen, dass er Rory auch wirklich erwischt hatte? Hatte Martin deswegen nach einem Grund gesucht, mich aus dem Haus zu schicken?
Dann verstand ich, wieso Martin darauf bestanden hatte, dass ich Hayden mitnahm.
Das Kind war meine Versicherung.
Martin wusste, dass der Schütze nicht auf mich zielen würde, solange ich Hayden in den Armen hielt. Um ihn war es bei der ganzen Sache gegangen; um Hayden, immer nur um Hayden. Zwar wusste ich noch nicht, was „die ganze Sache“ genau war, aber im Mittelpunkt stand auf jeden Fall Hayden. Er war mein Schutz, meine Versicherung – und Martin stand ohne da.
Zweimal wollte ich umkehren, blieb stehen und drehte um, aber ich schien keine Entscheidung treffen zu können. Ich stand unter Schock, fror und war verzweifelt, aber die Erinnerung daran, wie eindringlich mir Martin befohlen hatte zu gehen, hielt mich letztlich auf Kurs.
Der Weg zum Gehölz kam mir doppelt so lang vor, wie er in Wirklichkeit war, was am Schnee, der unebenen Bodenbeschaffenheit und am Baby lag, das ich trug. Aber dann gelangte ich zwischen die Bäume, wo Karls Pick-up fein säuberlich so geparkt war, sodass er kaum auffiel. Ich zog die Schlüssel aus der Tasche und kletterte unbeholfen in die Fahrerkabine, während sich Hayden mit leisen, gedämpften Lauten über die andauernde Kälte beschwerte.
Ich legte Hayden vor dem Beifahrersitz auf den Boden, anders ging es nicht. Dann rutschte ich mit dem Fahrersitz so weit nach vorn, dass ich mit den Füßen an die Pedale kam. Genau wie der Jeep vorhin startete auch der Pick-up beim ersten Versuch, was wirklich ein Segen war. Außerdem hatte er eine Automatikschaltung, was ein zweiter Segen war. Zusammen mit dem Motor erwachte auch das Gebläse zum Leben, und nach ein paar
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