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Der Narr und der Tod

Der Narr und der Tod

Titel: Der Narr und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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Handtasche und Autoschlüssel ab, stellte fest, dass ich vergessen hatte, meine Schuhe auszuziehen, und kniete mich hin, um sie mit einem Handtuch trockenzureiben.
    „Also, worüber habt ihr euch unterhalten?“, fragte ich und sah zu Karl hoch.
    „Der Spaßvogel hier ...“ Weiter kam Karl nicht, denn das Fenster zersprang.
    Da ich in einiger Entfernung vom Fenster am Boden kauerte, sah ich die Glassplitter deutlich durch die Küche fliegen. Sie blinkten im fluoreszierenden Deckenlicht. Die Splitter trafen Rory, der zusammengesackt am Küchentisch saß, trafen Martin, der dem Jungen gegenüberstand, und streiften Karl, der hinter Rory an einer Tischkante lehnte.
    Aber die Kugel, die das Fenster durchbrochen hatte, Rory links am Hals traf und in einem feuchten Schauer aus Blut und Gewebe, der sich über Karl ergoss, rechts wieder austrat – diese Kugel traf als Nächstes Karl am Schenkel.
    Genau in diesem Augenblick, so schien es mir, schrie Martin: „Runter! Runter!“, und machte einen Luftsprung, mit dem er auf mir landete. Einen Herzschlag später – einen Herzschlag, den Rory nicht mehr hatte – lag ich mit dem Gesicht nach unten zwischen Glas und Blut auf dem Boden. Mein Herz raste. Karl schrie. Rory glitt vom Stuhl, als hätte er nicht einen Knochen im Leib, und blieb einen halben Meter von mir entfernt liegen. Aus der Verletzung an seinem Hals floss Blut und sammelte sich in einer Pfütze unter ihm. Seine Augen standen offen.
    Ich schrie, ohne schreien zu wollen. Martins Gewicht lastete schwer auf mir, während ich zitternd und bebend am Boden lag und zusah, wie die Blutlache unter Rory sich immer mehr in meine Richtung ausweitete.
    Dann breitete sich Stille aus.
    Nach der längsten Minute meines Lebens flogen keine weiteren Kugeln durchs Fenster. Martin löste sich zögernd von mir. Ich zwang mich, zu Karl hinüberzukriechen, der inzwischen leise ächzte. Der Fußboden lag voller Scherben und Splitter, was mich unwillkürlich an Feger und Kehrschaufel denken ließ – und an Scheuertücher, als die Blutlache nur wenige Zentimeter vor mir aufhörte, sich auszubreiten.
    „Martin?“, fragte ich mit belegter Stimme.
    „Ja“, entgegnete er atemlos.
    „Ich glaube, Karl muss man das Bein abbinden.“
    „Rory?“, fragte er.
    „Tot.“
    Ich versuchte, mich nicht allzu weit aufzurichten, während ich meinen Gürtel mühsam aus den Schlaufen zerrte und ihn eng um Karls Oberschenkel band. Zu meiner großen Erleichterung robbte Martin auf den Ellbogen hinüber zu Karls anderer Seite und zog den Gürtel fest.
    Karl wurde ganz ruhig. Ich wagte es, in sein Gesicht zu schauen. Er war so bleich, wie es bei seiner Hautfarbe überhaupt nur möglich war.
    Jetzt warf ich einen schnellen Blick hinüber zu Martin. Hatte er erkannt, wie schlecht es um Karl stand?
    Der Anblick meines Mannes ließ mich erschrocken aufkeuchen. Martin war über und über mit Blut bespritzt.
    Mein Mann, der Beherrschte, der Unbezwingliche, der mit jeder Krise fertig wurde.
    „Schatz!“, sagte ich. „Schatz, du bist verletzt!“ Manchmal füllte die offensichtliche Wahrheit das Denken, und man scherte sich nicht darum, ob man schlau klang oder nicht.
    „Schrammen und Schnitte vom Glas“, sagte er kurz angebunden. Aber er atmete flach, und seine Gesichtsfarbe war kaum besser als die gegenwärtige Farbe Karls.
    Ohne noch einen weiteren Atemzug an die Unterhaltung mit mir zu verschwenden, hob er die Hand und tastete nach dem Telefon auf dem Küchentresen.
    Oben begann Hayden zu schreien, es war über das Babyphon deutlich zu hören. Ich wollte fortstürzen, aber Martin legte mir die Hand auf die Schulter. Nicht schwer, aber nachdrücklich.
    „Bist du irre? Bleib unten!“, fauchte er, während er, ohne den Hörer an sein Ohr zu halten, die Nummer des Notrufs eintippte. Ich war näher beim Apparat als er, daher konnte ich das Birnchen am Zahlenfeld sehen, das normalerweise aufleuchtete, um die Zahlen zu beleuchten, damit man auch im Dunkeln wählen konnte.
    „Das Telefon ist tot“, wisperte ich, unfähig, das Zittern in meiner Stimme zu verbergen. Mein Blick folgte dem Telefonkabel vom Apparat bis zur Telefonbuchse in der Wand, und ich erkannte, dass die Leitung nicht draußen gekappt worden war, sondern hier drinnen, direkt vor der Buchse. Ich zeigte darauf. Martin folgte meinem Blick, und als er mich wieder ansah, entdeckte ich in seinen Augen zum ersten Mal in unserer gemeinsamen Geschichte Mutlosigkeit.
    Er hielt den Hörer ans Ohr,

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