Der Narr und der Tod
bekam aber nur bestätigt, was er bereits wusste. Einer der Menschen, die in den vergangenen zwei Stunden bei uns zu Besuch gewesen waren, hatte unser Telefon sabotiert. Es gab nur diesen einen Apparat.
„Wo ist das Mobiltelefon?“, fragte ich.
„Im Jeep.“
Klar. Da hatte ich es selbst noch knapp drei Minuten zuvor gesehen.
„Wir müssen Karl zum Jeep bringen“, sagte ich. „Wir rufen auf dem Weg in die Stadt in der Klinik an.“
„Du musst mitkommen. Hayden auch.“ Martin, der nur halb bei Bewusstsein zu sein schien, kroch zur Wand bei der Tür und holte sich Karls Gewehr.
Mir war entfallen, wie weit entfernt von der Haustür ich geparkt hatte. „Ich sehe nach, wo der Jeep steht“, sagte ich, ehe ich auf Händen und Füßen zur Haustür kroch. Dort öffnete ich sie vom Boden aus und spähte so gut es ging um den Türrahmen, um selbst in Deckung zu bleiben.
Wunderbar, der Jeep parkte zum Greifen nah. Erleichterung überkam mich; wir würden es schaffen. Wir würden hier rauskommen, in die Stadt, in das kleine Krankenhaus von Corinth.
Da fiel mir auf, dass sich der Jeep seltsam zur Seite neigte. Zwei Reifen waren platt: die auf der anderen, von der Tür abgewandten Seite. Mein Herz klopfte schmerzlich.
Ich schloss die Tür und rannte gebückt zur Treppe. Der Treppenaufgang war von keinem der Fenster her einsehbar oder wenn, dann nur sehr schwer und in einem scharfen Winkel. Ich konnte also normal gehen. Atemlos kam ich oben an, wo ich stehen blieb, um mich zu fangen, ehe ich Haydens Zimmer betrat, das direkt über der Küche lag. Hier war er am sichersten, gestand ich mir schweren Herzens ein, obwohl mich sämtliche Instinkte dazu trieben, den Kleinen zu schnappen und mitzunehmen. Es war besser, wenn ich ihn hierließ. Nur sein Schreien konnte ich nicht ertragen, also versuchte ich, ihm einen Schnuller in den Mund zu schieben, und hoffte, das würde ihn eine Weile ruhigstellen.
Martin sah noch schlimmer aus, als ich wieder in die Küche kam. Am liebsten hätte ich ihm nicht gesagt, dass der Jeep nicht fahrbereit war, aber er musste es wissen. Karl schien bewusstlos zu sein.
Martin reagierte wie immer: schnell und umsichtig.
„Sieh nach, ob das Handy noch im Jeep liegt“, befahl er, wobei klar war, wie wenig Hoffnung er dabei hatte. Er bot nicht an, selbst zu gehen, und dieses stille Bekenntnis, dass er dazu nicht in der Lage war, war für mich furchtbarer als alles andere in dieser entsetzlich zugerichteten Küche. Martin, willensstark, gefährlich und tapfer, war seit drei Jahren die Stütze in meinem Rücken gewesen. Jetzt, wo er ausfiel, fühlte ich mich schutzlos und beklommen. „Wenn das Handy nicht im Jeep liegt“, fuhr er fort, „gehst du zu Karls Pick-up, der steht hinter der Baumgruppe unten beim südlichen Feld. Karl war nachsehen, mit was für einem Fahrzeug unser nächtlicher Besucher gekommen war, und hat danach dessen Spuren bis zum Haus verfolgt.“
„Alles klar“, wisperte ich. Erneut lenkte mich Haydens Geschrei halb ab. „Was dann?“
„Du musst Karls Pick-up holen.“
Bitte? War Martin verrückt geworden? „Woher wissen wir, dass niemand da draußen ist?“ Auf gar keinen Fall würde ich ihn alleinlassen.
„Keine weiteren Schüsse“, sagte Martin knapp.
„Vielleicht warten sie, bis wir aufstehen, und schießen dann.“
„Wenn sich der Schütze noch da draußen herumtreiben würde, wäre er längst näher gekommen, um gezielt auf uns zu schießen. Ich glaube, er hatte es auf Rory abgesehen.“
Ich sah zu Karl hinüber, der inzwischen wachsbleich geworden war und mehr und mehr einer Figur aus Madame Tussauds Sammlung glich. Blut, Schweiß und Bröckchen, deren genaue Herkunft ich gar nicht wissen wollte, klebten an ihm. Er sah äußerst schlecht aus. Martin hatte Blutspritzer auf dem Hemd, überwiegend am Rücken, wo er beim Versuch, mich mit seinem Körper zu schützen, einige Glassplitter abbekommen hatte. Eine Schramme über seiner rechten Braue blutete stark, aber das musste nicht unbedingt Schlimmes bedeuten, denn Kopfwunden bluteten immer stärker als alle anderen. Was allerdings seine Gesichtsfarbe betraf, wollte mir beim besten Willen nichts Beruhigendes einfallen – irgendetwas stimmte mit Martin nicht, etwas Schwerwiegenderes als ein paar Kratzer. Aber ich hatte zu große Angst, um ihn zu fragen.
„Nimm das Kind mit”, sagte er.
„Was?” Das war nun wirklich verrückt. Draußen hatte es wieder zu schneien begonnen.
„Nimm das
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