Der Narr
Doch wie konnte ein Bankmanager diese Kontakte pflegen, ohne dabei gleich in einen Sumpf hinabsteigen zu müssen? Mit seiner Initiative, einen ehemaligen Häftling medienwirksam als seinen Fahrer einzustellen, hatte er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Die Medien hatten ihn zum ethischen Banker stilisiert – zu einem Zeitpunkt, als andere Manager wegen dubiosen Geschäften in Verruf geraten waren. Gleichzeitig hatte er einen Pitbull in seinem unmittelbaren Umfeld positioniert. Die finanzielle Abhängigkeit des verschuldeten Ex-Knackis war die Kette, die in seine Hand führte.
Sein Gegenüber schien noch nicht ganz aufgetaut zu sein. Wahrscheinlich gab er dem Geldadel die Schuld, dass er acht Jahre im Gefängnis hatte sitzen müssen. Das unsichtbare Band zwischen dem Herrn und der Bestie musste erst aufgebaut werden. Ein Jahr schon war er sein Fahrer gewesen, bislang hatten sie kaum miteinander gesprochen. Doch Heisenstein wusste genau, wohin er die Gespräche lenken musste, um das Eis zu brechen.
»Herr Kratochvil, die Leistung vom LASK ist ja wieder einmal nicht sonderlich berauschend. Was glauben Sie, fehlt denen, um wieder einmal vorne mitzumischen?«
Es hätte Heisenstein gewundert, wenn Kratochvil keine Meinung dazu gehabt hätte. Sein Gast öffnete sich und nahm eine entspanntere Körperhaltung ein. Heisenstein spiegelte Kratochvils Körperhaltung erneut – genau so, wie er es in den Seminaren gelernt hatte. Immer dann, wenn es an der Zeit war, etwas Neues zu bringen, zog Heisenstein die Augenbrauen hoch und sah seinen Gast fragend an. Es grenzte an ein Wunder, was ihm auf diese Weise zu entlocken war.
Und noch ein Treffer! Der Rapport war hergestellt und gefestigt. Nun kam der kritische Punkt: Heisenstein musste sein Anliegen zu dem seines Gegenübers machen.
»Ich möchte Ihnen gerne etwas anbieten, bei dem Sie Ihre Talente voll zur Geltung bringen können.«
Kratochvils Augen verrieten, dass er angebissen hatte. Doch wie nun die Angel einziehen, ohne forsch zu werden? Er hatte Kratochvil ein Leben ermöglicht, der Ex-Knacki hatte sich dafür gefälligst mit Taten zu revanchieren! Heisenstein musste sich beherrschen.
»Ich träume oft davon, fortzugehen. Ich frage mich, wie es sich anfühlen muss, jeden Tag den warmen Sand unter den Händen fühlen können und am Abend stundenlang dem Meeresrauschen zuzuhören. Abends eine braungebrannte Frau in den Armen, jede Menge Jamaica Rum und keine Sorgen. Ich lasse dieses Bild heller werden und auch das Meeresrauschen wird lauter und lauter. Es fühlt sich dann an, als wäre ich wirklich dort. So greifbar nahe. Und dann denke ich wieder an November. An den kalten Wind, den Matsch und die Nebelsuppe über der Stadt. All diese grantigen Gesichter. Grauslich, hier leben zu müssen, wenn man weiß, dass anderswo das ganze Jahr über die Sonne strahlt. Wie steht’s mit Ihren Träumen, Kratochvil?«
Wieder ein Treffer! Die Pupillen seines Gasts waren beim Stichwort ›Sand unter den Händen‹ nach links oben gewandert und er wurde sichtlich entspannter. Es war an der Zeit, den Preis für diese Art von Leben auszuhandeln.
»Eines habe ich in meinem Leben gelernt, Dr. Heisenstein. Träume vom Reichtum bringen jemanden wie mich in den Häf’n.«
Heisenstein zog die Augenbrauen wieder hoch, um mehr zu erfahren.
»Ein Mann wie ich … Wie kommt der schon zu viel Geld? Sicher nicht mit ehrlicher Arbeit. Er müsste da schon etwas drehen.«
Heisenstein versuchte so zu tun, als hätte er Kratochvils Anspielung nicht verstanden. Immer noch hoffte er, dass Kratochvil als erstes aussprechen würde, ihm behilflich sein zu wollen.
»Nun ja, Kratochvil … Aus Banken lässt sich einiges herausholen, allerdings am wenigstens mit einer gezogenen Waffe.«
»Ich sprach nicht über Banküberfälle. Aber ich sollte über krumme Dinger nicht zu offen reden. Es könnte ein falscher Eindruck entstehen.«
Treffer Nummer fünf! Besser konnte es nicht laufen! Bald würde sich in seinem Gegenüber der Eindruck verfestigen, dass er Heisenstein brauchte, um seine Träume erfüllen zu können. Heisenstein tat so, als müsste er über Kratochvils Bemerkung kurz nachdenken, um dann plötzlich zu verstehen, dass ihm sein Angestellter indirekt offerierte, ihm zu helfen.
»Nichts, was Sie mir hier sagen, wird je den Raum verlassen.«
»Ich bin in der Scheiße aufgewachsen und da lernt man alle Tricks.«
Kratochvil senkte den Kopf. Er ging wieder in die Defensive, offensichtlich
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