Der Narr
herausgestreckt. Dem Blick nach zu urteilen, knapp unter zwei Promille. Zwei Freunde hatten ihre Arme um seine Schulter gelegt. Im Hintergrund standen ein paar Unbeteiligte, die die Feiernden fragend anstarrten.
Remmel blickte über Hannis Schulter, als sie die Fotos auf Sams Facebook-Profil durchsah und die alles erklärenden Kommentare dazu las: Ein Wochenendkasperl, der für den Spaß lebte. Von den ausschweifenden Parties einmal abgesehen, war er Remmels Freunden am Comic-Stammtisch vielleicht nicht ganz unähnlich, wenn man sich seine Interessen und ›Gefällt mir‹-Angaben auf Facebook ansah.
»Schaut mir nach einem normalen Unruhestifter aus, der vielleicht hin und wieder eine Anzeige wegen Ruhestörung aufgebrummt bekommt. Mehr nicht«, murmelte Remmel. Der Chefinspektor konnte sich den Möchtegernrebellen gut wegen Trunkenheit auf einer Polizeistation vorstellen. Allerdings fiel es ihm hingegen schwer, den jungen Mann mit einem Mord in Verbindung zu setzen.
»Die Kollegen haben ein blutverschmiertes T-Shirt in einem Müllcontainer vor dem Haus gefunden, das allem Anschein nach dem Verdächtigen gehört.«
»Wissen Schremser und Wimmer schon, dass Kellermann hier bei der Pyramide ist?«
»Ja, Schremser und Wimmer sind unterwegs. Sie haben uns gebeten, mit dem Zugriff zu warten, bis sie da sind.«
»Schreib bitte den anderen Kollegen aus Wien, sie sollen sich gefälligst beeilen. Zugriff erfolgt direkt nach ihrem Eintreffen. Und Wimmer schickst du bitte eine Nachricht, dass wir gerne ein ordentliches Frühstück haben wollen. Die kommen sicher an einem Café vorbei.«
*
In Gedanken versunken schlenderte Sam in den Wald. Es war Zeit für eine kurze Morgentoilette. Es hieß, man sei wirklich ein Naturmensch, wenn man Gefallen daran fand, in freier Natur seinen natürlichen Bedürfnissen, begleitet von Vogelgezwitscher, freien Lauf zu lassen. Nach fünf qualvollen Minuten wusste Sam, er gehörte in die Großstadt, am besten in eine Metropole.
Plötzlich hörte er, nicht weit von sich entfernt, ein lautes Knacken im Gebüsch. Er schrak hoch. Welches Schwein auch immer ihm gefolgt war, würde es bald bereuen! Es gab gewisse Dinge, bei denen Sam besonders empfindlich war. Und früh morgens nicht einmal auf der Toilette für sich sein zu können, war ganz oben auf seiner Liste. Er sprang laut fluchend aus dem Busch hervor, doch er blickte in ein fremdes Gesicht.
»I hob mi verirrt, Oida! He, wia schaust’n du aus? Wos bist denn du für ana?«
Der Fremde vor ihm war offensichtlich kein lustiger Wandergeselle. Schwarze Lederjacke, schwarze Jeans und weiße Sportschuhe. Doch vor allem sein ausgezehrtes Gesicht passte nicht in das Bild des Menschen, der die frische Luft genoss und fröhlich schöne Lieder über die Natur vor sich hin trällerte. Und dennoch kam Sam der Mann bekannt vor, als hätte er ihn schon einmal irgendwo gesehen. Allmählich verstand Sam, worauf sein Gegenüber hinauswollte: Er trug noch immer das Narrenkostüm.
»Ich laufe nicht immer so rum.«
Sam war in den norddeutschen Akzent verfallen, was schon öfter vorgekommen war, wenn er sich erschreckt hatte oder unvorbereitet angesprochen wurde. Sein Gegenüber gab sich nun sichtlich Mühe, hochdeutsch zu sprechen: »Ich such’ die Pyramide. Ist die in der Nähe?«
Sam wies mit der Hand in die entsprechende Richtung. Der Fremde lächelte, nickte ihm zu und wandte sich zum Gehen.
»Wenn Sie die Pyramide in Ruhe genießen wollen, würde ich aber empfehlen, ein wenig zu warten. Wir sind bald weg!«, rief Sam ihm hinterher.
Der Fremde drehte sich wieder um und starrte Sam an. Für einen Moment glaubte Sam, ein kaltes Aufblitzen in den Augen des Mannes zu sehen. »Schöne Gegend hier. Muss ich mal meiner kleinen Tochter zeigen«, hörte er ihn noch murmeln.
In diesem Moment hörte Sam das Brummen eines Handys. Der Fremde griff in seine Tasche. Er zog ein nagelneues Smartphone heraus und warf einen Blick aufs Display. Als der Fremde diabolisch zu grinsen begann, fing es bereits in Sams Bauch zu kribbeln an. Er wollte standhaft bleiben. Wenn er schon mit einer Person unterwegs war, die selbst Blähungen als ein böses Omen betrachtete, wollte er sich nicht verleiten lassen, selbst auch jeder Intuition zu folgen. Doch dieses Mal irrte er. Wenn er gleich gerannt wäre, hätte er vielleicht noch genug Zeit gehabt, um das spätere Unglück zu verhindern.
»Pech, Oida! Grod jetzt kriag I dei Foto!« Der Fremde griff in seine Tasche. Sam
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