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Der Narr

Der Narr

Titel: Der Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Papp
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anstarrte. Die ›Definition von unauffälligem Benehmen‹? Auf den Boden starren könnte verdächtig wirken, aber auch jemanden zu ignorieren, der einen anstarrte. Sam richtete seinen Blick auf den Professor.
    »… Ich erhalte zahlreiche Anfragen von Interessierten meines Forschungsgebiets. Die Fragen drehen sich natürlich fast ausschließlich um den Mystizismus der Antike. Manche erkundigen sich bei mir sogar über Details zu Ritualen, von denen ich, so leid es mir tut, trotz intensiver Forschung noch nie gehört habe. Letztens wurde ich sogar ernsthaft gefragt, ob es den keltischen Druiden wirklich möglich war, sich unsichtbar zu machen, um so der Verfolgung durch Feinde zu entgehen ...«
    Manche Zuhörer lachten auf. Andere blickten sich fragend um sich. Sam hörte auch Sätze wie »So ein selbstverliebter Kerl.« Der Professor fuhr fort zu erklären, dass es die keltische Welt, wie sie von der Esoterik aufgegriffen wurde, nie gegeben hat und führte einige Beispiele esoterischer Schilderungen an. Er erntete dabei oft tosenden Applaus. Manche Zuhörer standen aber auch erbost auf und verließen den Saal. Nur der Student mit den Dreadlocks ließ sich dadurch nicht ablenken. Er stupste seinen Kollegen neben sich an und deutete in Sams Richtung.
    »… Wenn unserer Forschung etwas fehlt, sind es ausreichende Beweise. Anders ausgedrückt: Es wird mehr geraten und vermutet, als gewusst. Es mag zwar aufgrund einzelner Textfunde und archäologischer Ausgrabungen möglich sein, bestimmte Praktiken in einzelnen Gebieten zu definierten Zeitpunkten anzunehmen, eine umfassende Darstellung aller Religionsvorstellungen der Antike ist jedoch nicht möglich …«
    Auch der Kollege des Studenten starrte nun in Sams Richtung. Sam konnte klar erkennen, dass die Studenten irgendetwas beschäftigte. Wäre ihm das an seiner Fachhochschule passiert, wäre er wohl schon aufgestanden und hätte die Kollegen zur Rede gestellt. Doch Sams Füße waren mittlerweile wie Gummi. Er zitterte. Selbst bei dem Versuch auf die Studenten zuzugehen, würde er stürzen. Gisi! Er durfte sie nicht aus den Augen verlieren.
    »… Nicht nur aufgrund von geographischen Distanzen sind regionale Abweichungen zu erwarten, auch die zeitliche Komponente stellt ein Problem dar. Die Antike erstreckt sich über Jahrhunderte. Stellen Sie sich bloß vor, es hätte in den letzten Jahrhunderten bei uns keine Veränderung in den religiösen Vorstellungen gegeben. Manche Menschen müssten sich heute noch fürchten, verfolgt zu werden.«
    Einer der Studenten stand auf und ging in Sams Richtung. Einmal mehr wünschte er sich, mit einem Fingerschnippen verschwinden zu können.
    »… Doch wie hielten es die antiken Völker mit der Zauberei? In zahlreichen Schriften wird sie als unmännlich beschrieben …«
    Unmännlich? Vermutlich wäre es angebracht gewesen, die Axt hervorzuholen! Der Student näherte sich. Ceallachs Cú Chulainn hätte ihn für seine Blicke sicher schon einen Kopf kürzer gemacht. Faustschlag auf die Nase, raus aus dem Saal und rennen, rennen, rennen!
    Sam ballte seine Faust, doch kaum wollte er ausholten, reichte der Student einem jungen Mann neben ihm die Hand. Nach einem kurzen Geflüster verabschiedeten sie sich wieder und Sams ›Verfolger‹ kehrte zu seinem Sitzplatz zurück.
    Sam hörte sich die Vorlesung noch bis zum Ende an. Immer wieder unterbrachen die Zuhörer den Redner. Sie versuchten, den Professor mit ausgeklügelten Fragen zu einer Antwort zu bewegen, in der er mächtige magische Systeme erwähnen könnte. Viele vermuteten scheinbar, dass er irgendetwas verschwieg. Die Antworten des Professors waren stets ernüchternd.
    Nach der Vorlesung fing Sam Gisi ab und ging mit ihr ins naheliegende Buffet. Sein Geld reichte gerade noch aus, um sie auf ein Bier einzuladen. Gisi sah ihn mit ihren blutunterlaufenen Augen an, als er ihr an einem alten Tisch gegenüber saß, in dem sich schon zahlreiche Studenten verewigt hatten. Mehrmals seufzte sie auf und schien wie in eine andere Welt abgetaucht. Obwohl ihr Freund gestorben war, hatte sie sich in die Vorlesung gequält. Entweder weigerte sie sich noch, das Geschehene als Wahrheit hinzunehmen, oder sie war so unbeugsam sich selbst gegenüber, dass sie trotz dieses Schocks die Vorlesungen besuchte.
    »Du schaust furchtbar aus«, bemerkte sie kurz und zündete sich eine Zigarette an.
    »Ich hab auch eine schlimme Nacht hinter mir«, antwortete Sam. »Weißt du, wo ich ein paar Tage unterkommen

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