Der nasse Fisch
führten
dabei so etwas wie einen Tanz auf, allerdings passten ihre Bewegungen nicht immer zu den Klängen der Kapelle. Als sie dieWand der blauuniformierten Männer bemerkten, die sich am Eingang aufgebaut hatte, hielten sie sich aneinander fest, als würden
sie frieren. Vielleicht schämten sie sich auch. Dabei waren sie nicht einmal ganz nackt. Überhaupt war der Laden verhältnismäßig
harmlos, fand Rath. Im Venuskeller war es wilder zugegangen.
Die beiden Kriminalkommissare stellten sich in aller Ruhe vor die Schupos und schauten sich in dem Gewölbe um. Sie hatten
keine Eile, die fliehenden Männer zu verfolgen, sie wussten, dass niemand entkommen würde. Hinten führte eine Tür in das nächste
Gewölbe, soweit sie wussten, war der Raum genauso groß wie der, in dem sie sich befanden, allerdings in viele kleine Séparées
aufgeteilt. Wer dort hineinwollte, musste etwas mehr Geld springen lassen als hier vorne, wo man nur einen offenbar recht
harmlosen Striptease geboten bekam.
Wolter steckte seine Waffe ein, stemmte die Daumen in den Gürtel und versuchte, sich Gehör zu verschaffen, doch seine Stimme
wurde immer noch von der Musik übertönt. Es dauerte einen Moment, bis die Kapelle die Situation erfasst hatte. Die Klarinette
hörte als Letztes auf zu spielen. Dann brauchte es noch eine Weile, bis das allgemeine Gemurmel abebbte und Wolters Stimme
verständlich wurde.
»… darf ich Sie bitten, Ruhe zu bewahren. Dies ist eine polizeiliche Maßnahme. Wir werden Sie lediglich zum Polizeipräsidium
bringen, dort Ihre Personalien feststellen und eine kurze Aussage aufnehmen. Dann können Sie wieder gehen. Diese Aktion richtet
sich gegen die Betreiber dieses illegalen Lokals, nicht gegen seine Besucher.«
Gefügig wie die Lämmer ließen sich die meisten Gäste abführen. Auch die Musiker machten keine Anstalten zu fliehen. Das Personal
hinter der Theke blieb ebenfalls ruhig. Nur wenige rannten nach hinten, wo auch schon die Männer aus dem Gang verschwunden
waren. Normalerweise passte ein gutgebauter Angestellter auf, dass sich niemand in das zweite Gewölbe verirrte, der nicht
auch dafür bezahlt hatte, nun aber konnte jeder passieren. Aus dem Hinterraum war Geschrei zu hören. Eine halbnackte Frau kam durch die Tür, sah die Uniformierten und drehte gleich wieder um.
Langsam legte sich das Chaos durcheinanderlaufender Leute, und der Raum leerte sich. Rath gab Wolter ein Zeichen, dass er
nach hinten gehen würde, und winkte vier Schupos zu sich. Sie kümmerten sich nicht um die Séparées, auf deren Betten immer
noch Männer saßen, die sich hastig ankleideten. Die Frauen waren verschwunden, nur ein paar Kleidungsstücke waren liegen geblieben.
Hinter einer weiteren Tür öffnete sich ein langer, düsterer Gang, an dessen Decke Abwasserrohre zu erkennen waren. Rath schaltete
die Taschenlampe ein, die er eigens für diesen Einsatz eingesteckt hatte. Rechts führte der Weg durch weitere verwinkelte
Gänge zum Hinterhof an der Kleiststraße. Der Kommissar führte seine Leute in die andere Richtung. Das Ende des Gewölbegangs
markierte eine Stahltür, hinter der das Leiern einer Orgel zu hören war. Jetzt würde sich zeigen, ob Krajewski zu trauen war.
Rath machte die Taschenlampe wieder aus. Man konnte nicht wissen, ob dieser Raum bewacht war, und wenn, dann gab eine Taschenlampe
ein zu gutes Ziel ab. Die Tür war fest verschlossen, er versetzte ihr einen wohl gezielten Tritt genau in Höhe des Schlosses,
und sie schwang auf, den Blick in einen dunklen Raum freigebend.
Nur ein Lichtkegel, der durch den in der Luft stehenden Zigarettenrauch flimmerte, erhellte die Dunkelheit. Eine Filmorgel
spielte schwülstige Musik, eine merkwürdige Mischung aus der Marseillaise und Heil dir im Siegerkranz . Niemand schaute sich nach den Eindringlingen um, die Orgel übertönte alle anderen Geräusche, und das Geschehen auf der Leinwand
zog offensichtlich alle in seinen Bann. Auch die Schupos, die hinter Rath in den Raum traten.
Die Leinwand war deutlich kleiner als die im Gloria-Palast, doch der Film hätte wahrscheinlich auch die größten Kinosäle der
Stadt gefüllt, wenn er denn legal dort hätte abgespielt werden dürfen. Ein noch ziemlich rüstiger Kaiser Wilhelm, diesmal
der Erste, trieb es mit einer Frau, die der französischen Kaiserin Eugenie sehr ähnlich sah, während Napoleon III. daneben
auf einem Stuhl saß undwutschnaubend und gefesselt zuschaute.
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