Der nasse Fisch
gar nicht erst die Mühe, sein Grinsen zu verkneifen, als er an den großen Fenstern der Milchwirtschaft vorbei zur Hochbahn
ging.
Es war kurz nach vier, als er in der Burg ankam. Er hoffte, Charly nicht über den Weg zu laufen, aber die musste das Präsidium
eigentlich längst verlassen haben. Den Besuch bei Ilja Tretschkow hätte er sich sparen können. Der Trompeter war nicht zu
Hause und Rath unverrichteter Dinge aus Schöneberg zurückgekehrt. Wenigstens hatte er bei Tietz am Alex einen neuen Anzug
erstanden. Ein brauner Cheviotanzug für achtundsechzig Mark. Ein typischer Bullenanzug, nicht zu teuer, falls man sich das
gute Stück im Dienst versaut. Oder in der Freizeit, beim Leichenverbuddeln . Für ein neues Paar Schuhe hatte er nochmal fast zwanzig Mark hingelegt. Sein gestriger Ausflug kam ihn teuer zu stehen.
Und einen neuen Mantel musste er sich auch noch zulegen; in seinem alten Trenchcoat sah er aus wie ein Schnüffler der Politischen
Polizei.
Rath stellte die Papiertüten mit seinen Einkäufen auf den Schreibtisch. Bruno und der Frischling waren noch nicht da, und
er beschloss, die neuen Sachen schon einmal anzuziehen. Er war gerade dabei, sich das Hemd in die neue Hose zu stopfen, als
das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte.
»Rath, Kriminalpolizei.«
»Hier ebenfalls.«
So meldete sich nur einer. Kriminaldirektor Engelbert Rath. Herzlichen Glückwunsch! Dessen wohlmeinende Ratschläge konnte
er jetzt am allerwenigsten gebrauchen.
»Oh, was für eine Überraschung«, knurrte Gereon in den Hörer. »Woher weißt du, dass ich noch im Büro bin?« Er klemmte den
Hörer mit der Schulter fest und zog sich weiter an, während er seinem Vater zuhörte.
»Ich bin Kriminalist, mein Junge«, sagte Engelbert Rath undlachte sein kurzes, lautes Lachen. Selbst durch das Telefon klang sein Vater wie jemand, der einem die Hand auf die Schulter
legt und eine Zigarre in den Mund schiebt, während er auf einen einredet. »Nein, Spaß beiseite! Deine Zimmerwirtin hat mir
gesagt, dass du heute Nachmittag arbeitest. Gut so! Immer Einsatz zeigen!«
Elisabeth Behnke war an sein Telefon gegangen! Was hatte sie in seinem Zimmer zu suchen? Neugierige Kuh! Gut, dass er den
kleinen Koffer heute Morgen mitgenommen und entsorgt hatte.
»Und du? Du sitzt noch in der Krebsgasse, oder?«
»Gut kombiniert, mein Junge!«
»Nenn es kriminalistischen Instinkt«, sagte er, während er den Gürtel zuschnallte, »du solltest deine Sekretärin früher gehen
lassen. Zu Hause klappern keine Schreibmaschinen im Nebenraum. Wie geht’s denn Mutter?«
»Na, du weißt ja, ihre Knie. Aber sonst geht’s ihr gut. Sie lässt dich schön grüßen.« Die Stimme von Engelbert Rath bekam
einen väterlich familiären Ton. »Melde dich doch mal bei ihr«, sagte er. »Sie möchte so gern wissen, wie es dir in Berlin
ergeht.«
»Möchte sie auch wissen, wie es ihrem Sohn in New York so ergeht?«
»Was soll diese Anspielung?«
»Wenn sie wissen will, wie es mir geht, dann soll sie mich anrufen und fragen.«
»Du weißt doch, wie sie ist. Sie möchte sich nicht aufdrängen. Dabei freut sie sich so, wenn du dich mal meldest.«
»Ich bin gerade mal zwei Monate weg.«
»Junge, ich bitte dich ja nur.«
»Schon gut. Ich ruf sie die Tage mal an.«
»Na, siehst du! Und was gibt’s bei dir Neues?«
Ich habe gestern einen Menschen verscharrt , dachte Gereon, aber sonst geht alles seinen gewohnten Gang.
»Ich hatte viel um die Ohren. Wir haben heute Nacht einen großen Einsatz …«
»Die Razzia? Karl hat mir davon erzählt.«
Der alte Herr hatte also mal wieder mit Dörrzwiebel telefoniert!Aber immerhin nahm man die Arbeit der Inspektion E in der Chefetage wahr.
»Du machst dich gut, mein Junge«, fuhr sein Vater fort. »Der Polizeipräsident hält große Stücke auf dich.«
»Ich hoffe, nicht nur wegen meines Nachnamens.«
»Nun sei doch nicht so empfindlich!«
»Es ist eben etwas gewöhnungsbedürftig, wenn der eigene Vater deine Vorgesetzten duzt.«
»Aber das kennst du doch.«
Richtig. Das kannte Gereon nur zu gut. Im Kölner Polizeipräsidium war Kriminaldirektor Engelbert Rath nicht nur ein hoher
Polizeibeamter, sondern eine Legende. Jemand, mit dem so ungefähr alle hohen Beamten der Krebsgasse per du waren – und meist
auch stolz darauf. Die Versetzung nach Berlin hatte Gereon als Chance gesehen, endlich ohne den Schatten seines Vaters arbeiten
zu können. Aber der Schatten reichte
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