Der nasse Fisch
unjefähr zehn Mark aus unsere Jetränkekasse fehlen ooch. Ihre Kollejen waren Sonnabend ja
schon mal hier, aber jefunden ham die nischt.«
Rath fühlte sich unbehaglich an dem kleinen, wackligen Tisch. Der Polier saß ihm gegenüber, zwischen ihnen hatte die Stenotypistin
Platz genommen. Christel Temme ging auf die fünfzig zu und war mit Charly überhaupt nicht zu vergleichen. Allerdings nahm
sie ihren Beruf ernst, und der bestand darin, alles, was gesagt wurde, mitzustenographieren. Darüber hinausgehende Gedanken
machte sie sich nicht, das Denken überließ sie den Pferden. Oder den Kriminalbeamten.
Zuerst nahm Rath die Personalien des Mannes auf, Edgar Lauffer, 57 Jahre alt, wohnhaft in der Danziger Straße, dann begann
die eigentliche Vernehmung.
»So«, sagte er. »Dann erzählen Sie doch mal von Anfang an: Wann und wie haben Sie entdeckt, dass da auf der Baustelle was
nicht stimmt?«
Der Polier kratzte sich am Kopf. »Na, heut Morjen natürlich. Ick hoffe, Sie wollen jetzt keene jenaue Uhrzeit wissen, wa?«
»Nach Möglichkeit schon.«
»Also, um sechse fangen wir hier an. Dann jeh ick erst mal mit der Mannschaft die Vorjaben für den Tach durch und teil die
Leute ein. Damit jeder weeß, watter machen soll. Soll ja keener dumm in der Ecke rumstehn, wa?«
Rath spielte mit einem Stift und drehte die Augen zur Decke, die Stenotypistin schrieb unermüdlich mit. Jede Silbe.
»Soll ick weitererzählen?« Lauffer wirkte etwas irritiert.
»Erzählen Sie.« Rath konnte so gnädig klingen wie ein Großinquisitor. Lauffer begann zu stottern.
»Also, ick … ick schätze mal, so um Dreiviertel sieben bin ick runter zur Baujrube und hab die Schweinerei jesehen.«
»Was haben Sie gesehen?«
»Na, der Beton, det war allet … wie soll ick sagen … det sah aus wie die Hochalpen un nich wie’n Fundament.«
»Wann haben Sie das Fundament denn eigentlich gegossen?«
»Freitach. Det weeß ick jenau. War ja nachem Feiertach.«
»Und Samstag … äh, Sonnabend, da war der Beton noch in Ordnung?«
Lauffer knetete seine Mütze. Aus seinem Gesicht sprach das schlechte Gewissen. Nicht nur, weil er den Einbruch genutzt hatte,
um den Inhalt der Getränkekasse einzusacken. Rath vermutete, dass die Bauarbeiter den Samstag überwiegend mit Biertrinken
und Skatspielen verbracht hatten. Jedenfalls hatten sie den Bau nicht großartig weiter vorangebracht. Anders konnte er sich
die Verlegenheit des Poliers nicht erklären.
»Also?«, hakte Rath nach. »War der Beton Sonnabend noch in Ordnung?«
»Weeß nich.«
»Aber Sie haben hier doch gearbeitet.«
»Schon. Aber da war der Einbruch, die janze Uffrejung.«
»Sie haben keinen Blick auf das Fundament geworfen?«
»Schon, hab jekiekt, ob der Beton jut abjebunden hat und so. Hatte ja jeregnet in der Nacht.«
»Aber die Schweinerei, wie Sie es eben genannt haben, die ist Ihnen da noch nicht aufgefallen?«
»Ne, eijentlich nich, aber …«
»Also kann die Leiche auch am Sa… am Sonnabend oder Sonntag dort im Beton deponiert worden sein.«
Lauffer zuckte die Achseln. »Weeß nich. Höchstens wenn eener hinten die Ecke neu uffjerissen hat, Leiche rein und denn neu
jejossen, wa? Sonnabend fing det doch schon an, hart zu wer’n.«
»Aber möglich wäre es. Und Ihnen ist Sonnabend auch noch nichts aufgefallen am Beton.«
»Nee. Det stimmt. Hab ick erst heute jesehen, die Schweinerei.« Lauffer war die Erleichterung anzumerken. »Denn waren det
also jar nich meine Jungs mit die Schweinerei, denn war det een Mörder, der unsere schöne Arbeit wieder uffjerissen hat. Die
schrecken ja heute vor jar nischt mehr zurück, die Verbrecha!«
Rath war ganz zufrieden mit sich, als er den Bauwagen verließ, um sich den Fortschritt der Bergungsarbeiten anzusehen. Besser
hätte das Gespräch mit dem Polier nicht laufen können. Unten in der Baugrube waren sie immer noch dabei, die Leiche aus ihrem
Betongrab zu befreien. Rath hatte Jänicke damit beauftragt, und der dirigierte die Schupos, die sich dabei die Uniformen versauten.
Sie mussten aufpassen, dass sie die Leiche nicht beschädigten, und gingen vorsichtig mit Hammer und Meißel zu Werke. Ab und
an war ein unterdrückter Fluch zu hören. Der hart gewordene, aber immer noch feuchte Beton hinterließ unschöne Flecken auf
den blauen Uniformen. Die Bauarbeiter sahen verstohlen grinsend zu.Der Körper des Toten war bereits freigelegt, jetzt war der Kopf an der Reihe. Stück für Stück wurden
Weitere Kostenlose Bücher