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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Betonbrocken und -brösel
     weggeschlagen.
    Rath trat hinzu und hatte sofort wieder das beunruhigende Gefühl, dass alle Blicke auf ihn gerichtet waren. Das ist ganz normal , sagte er sich, schließlich leitest du die Ermittlungen. Kurzzeitig wurden die Blicke abgelenkt. Ein Mann im grauen Mantel, in der rechten Hand eine Ledertasche, mit der linken den
     Hut festhaltend, überquerte die Baustelle und stakste durch den Matsch wie ein Storch. Rath erkannte Dr. Schwartz schon von
     weitem. Auch der Gerichtsmediziner hatte nicht an Gummistiefel gedacht.
    »Guten Morgen, Doktor«, begrüßte er den Gerichtsmediziner, der sich suchend umgeschaut hatte, wohl auf der Suche nach einem
     bekannten Gesicht aus der Mordinspektion. Rath streckte die Hand aus und kam ihm entgegen. »Kriminalkommissar Gereon Rath.
     Ich leite hier die Ermittlungen.«
    Schwartz schaute ihn prüfend an. »Kennen wir uns nicht?«
    »Flüchtig. Aus der Hannoverschen Straße. Ich habe Ihnen vor einiger Zeit zwei Opfer der Maiunruhen gebracht.«
    Bei Schwartz fiel der Groschen. »Ah ja«, sagte er und ließ sich nicht anmerken, welche Regung diese Erinnerung bei ihm auslöste.
     »Dann haben Ihnen die Leichen solchen Spaß gemacht, dass Sie nun gar nicht genug davon bekommen können?«
    »Ist doch schön, wenn einem die Arbeit Spaß macht.«
    »Sie sagen es, mein Freund, Sie sagen es.«
    Einen Begräbnismarsch pfeifend, kletterte Schwartz in die Baugrube. Seltsamer Vogel, dachte Rath und folgte ihm.
    Das Gesicht des Toten trat trotz der Betonspuren nun schon deutlich hervor, aber der Beton hatte der Physiognomie übel mitgespielt,
     und das fehlende linke Auge tat ein Übriges, um es mehr wie eine Fratze aussehen zu lassen.
    Doch einer der Blauen, die den Toten ausgebuddelt hatten, schien ihn trotz all dieser Entstellungen wiederzuerkennen. Stürickow,
     der Oberwachtmeister vom 87. Revier, stand wie vom Schlag getroffen da.
    »Mensch, ick werd verrückt!«, rief er aus und trat einen Schritt zurück. »Det is ja der heilije Josef! Keen Wunder, mit dem
     musste det ja mal ’n böses Ende nehmen!« Er schüttelte fassungslos den Kopf. Als er die überraschten und fragenden Blicke
     der Umstehenden bemerkte, schob er achselzuckend eine Erklärung nach. »Den kenn ick seit der Volksschule.«
    Der heilige Josef. So wurde Josef Wilczek genannt, weil er nicht nur als vielseitig begabter Gauner, sondern auch als gläubiger
     Katholik bekannt war. Angehörige hatte er keine, aber Wachtmeister Stürickow und Wilczeks Vermieterin, die sie zum Leichenschauhaus
     hatten bringen lassen, hatten ihn einwandfrei identifizieren können. Als Jänicke sich mit dieser Nachricht aus der Hannoverschen
     Straße meldete, hatte Rath sich die Akte aus der Verbrecherkartei längst besorgt und auf dem verwaisten Schreibtisch von Erwin
     Roeder ausgebreitet. Ironischerweise war es genau das Büro, in das Charly ihn vor ein paar Tagen gezogen hatte, nicht besonders
     groß, aber mit einem entscheidenden Vorteil gegenüber Raths altem Büro in der Inspektion E: Er hatte es für sich allein. Selbst
     das Vorzimmer war verwaist, Roeders alte Sekretärin hatte ebenfalls Urlaub genommen. Wahrscheinlich tippte sie für den Ex-Polizisten
     jetzt das neue Buchmanuskript ab.
    Der ED hatte Wilczek von allen Seiten fotografiert. Damals hatte der seltsame Heilige noch einen Schnauzbart getragen. Offensichtlich
     hatte der Fotograf vergessen, Bitte recht freundlich zu sagen. Wilczek schaute ins Objektiv, als wolle er gleich nach dem Fototermin kleine Kinder fressen.
    Der Kommissar starrte auf die Akte, als sei sie aus einem bösen Traum auf den Schreibtisch gesegelt. Er hatte es geahnt, seit
     sie das Gelände heute Morgen betreten hatten. Und der Blick in die Baugrube hatte die letzten Zweifel vertrieben: dieselbe
     Baustelle. In jener verhängnisvollen Nacht war er lediglich von der anderen Seite gekommen. Von Süden. Von dem Hinterhof,
     in dem der Bauwagen stand.
    Die Erkenntnis hatte ihn getroffen wie ein ansatzloser Fausthieb.Er hoffte, dass niemand seine Nervosität bemerkt hatte. Oder sie zumindest darauf geschoben hatte, dass Kriminalkommissar
     Gereon Rath ins kalte Wasser geworfen worden war, als der Buddha ihn mit der Leitung der Ermittlungen beauftragt hatte. Rath
     konnte es immer noch nicht wirklich fassen. Hörte er das Schicksal irgendwo hinter der nächsten Türe leise lachen? Sein erster
     amtlicher Mordfall in dieser Stadt, der Fall, auf den er gewartet hatte – und eine

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