Der nasse Fisch
Entscheidungen zu treffen, Herr Oberkommissar! Irgendsoetwas wie eine heiße Spur sollten Sie
mittlerweile wenigstens aufweisen können, Herrgott nochmal! Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie allen Hinweisen nachgehen.
In welche Richtung ermitteln Sie denn derzeit? Das reicht doch schon, mehr brauchen wir denen gar nicht zu sagen. Die letzte
Pressekonferenz in diesem Fall liegt über eine Woche zurück. Ich kann die Herren Journalisten verstehen, dass sie langsam
ungeduldig werden. Und wenn wir ihnen nichts bieten, schießen die Spekulationen ins Kraut. So ist das doch immer.«
»Dann müssen sie eben schießen. Mit Verlaub, Herr Polizeipräsident, ich mache hier meine Arbeit und bin nicht der Kasper für die Journaille!«
»Dann machen Sie Ihre Arbeit gefälligst so, dass sie auch Ergebnisse zeitigt, haben wir uns verstanden?«
»Herr Polizeipräsident, ich bin immer noch Recht und Gesetz verpflichtet und nicht den Pressefritzen! Sollen die doch schreiben,
was sie wollen. Auf Wiedersehen!«
Die Tür flog auf, und ein puterroter Wilhelm Böhm schoss aus dem Chefzimmer, vorbei an Rath und der immer noch ungerührt tippenden
Dagmar Kling. Was für ein Abgang! Aber höchstwahrscheinlich nicht gerade karrierefördernd.
Das Fallbeil unterbrach die Bearbeitung der Schreibmaschine.
»Herr Kommissar«, sagte Dagmar Kling und wies auf die Tür, die immer noch offen stand, »gehen Sie bitte durch. Der Herr Polizeipräsident
kann Sie jetzt empfangen.«
Zörgiebel schien sich schnell wieder gefasst zu haben. Er saß hinter seinem Schreibtisch und tat so, als ordne er Papiere.
Als Rath eintrat, stand er auf und breitete die Arme aus wie ein Opernsänger.
»Der junge Kommissar Rath!« Zörgiebel streckte ihm seine fleischige Pranke entgegen. »Wie haben Sie sich eingelebt, mein Freund?«
Rath kam sich ein wenig überfallen vor. Ihm wäre es lieber gewesen, der Dicke wäre hinter seinem Schreibtisch sitzen geblieben
und hätte seinen Gast auf einem der unbequemen Stühle davor Platz nehmen lassen. Und der Freund des Polizeipräsidenten wollte
er schon gar nicht sein.
»Oh, danke«, sagte er. »Berlin ist nicht Köln, aber …«
»Da sagen Sie was! Da sagen Sie was!« Zörgiebel schien diese Binsenweisheit zu gefallen, ohne dass ihn die nähere Erläuterung
interessierte.
Das Telefon klingelte. Verärgert hob der Polizeipräsident ab.
»Ich wollte doch nicht gestört werden, Fräulein Kling«, sagte er. »Was?« Er lauschte eine Weile. »Ich habe dem Innenministerium
meine Antwort doch schon mitgeteilt: Die Berliner Polizei wirddiesen Fall wie jeden anderen auch behandeln. Eine ganz normale Vermisstensache. Die meisten tauchen nach ein paar Tagen wieder
auf, als wäre nichts gewesen. Und jetzt stören Sie mich bitte nicht mehr.«
Er legte auf.
»Die sowjetische Botschaft vermisst einen ihrer Mitarbeiter«, sagte er zu Rath. »Und die Kommunisten machen da gleich eine
Staatsaktion draus. Dabei möchte ich wetten, dass der Kerl sich nur ein paar schöne Tage – und Nächte – in unserer Stadt gemacht
hat und irgendwann ein wenig verkatert wieder vor der Botschaftstür steht. Wäre nicht der Erste, der den Verlockungen des
Kapitalismus erliegt.«
Zörgiebel führte Rath zu einer Sitzgruppe. Ziemlich neu, nicht so durchgesessen wie die grünen Ungetüme in Gennats Büro. »Machen
Sie es sich gemütlich.«
Gemütlich? Rath setzte sich in einen der beigefarbenen Sessel. Er fühlte sich alles andere als gemütlich. Wenigstens gab es
keinen Kuchen. »Danke, Herr Polizeipräsident.«
Zörgiebel bot ihm eine Zigarre an, Rath lehnte ab. Der Polizeipräsident nahm sich selber eine und stellte das Kästchen wieder
auf den Tisch. »Und?«, fragte er, während er die Zigarre anzündete. »Wie kommen Sie denn voran mit Ihrem Mordfall?«
Gute Frage, dachte Rath. Ich weiß, wer’s war, aber ich verrat’s nicht! »Die Spuren deuten auf eine Auseinandersetzung in Verbrecherkreisen hin«, sagte er so bürokratisch trocken, wie man es von
einem preußischen Beamten nur erwarten konnte.
»Na, das ist doch schon mal was!« Zörgiebel strahlte. Wahrscheinlich erhoffte er sich wenigstens in diesem Fall eine rasche
Aufklärung.
»Das Opfer war ein Ganove, Mitglied im Ringverein Berolina «, setzte Rath seinen Bericht fort, »die Kugel womöglich ein Querschläger. Könnte also ein Unfall gewesen sein. Oder unser
Mann ist in eine Schießerei geraten. An seiner rechten Hand fanden
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