Der nasse Fisch
Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen:
Der Polizeipräsident hatte von dem Toten im Beton erzählt und dann an den ermittelnden Kommissar übergeben, Rath hatte nüchtern
und sachlich vorgetragen, selbst keine Schlussfolgerungen gezogen, aber die bisherigen Ermittlungsergebnisse so geschildert,
dass die Journaille an der Geschichte von einer Schießerei unter Verbrechern gar nicht vorbeikam. Die Meute hatte alles brav
geschluckt. So hatte Zörgiebel sich das gedacht: Futter für die hungrige Journaille. Es schien tatsächlich zu funktionieren
– bis Rath um Fragen gebeten hatte. Und die Fragen waren gekommen: keine einzige an den ermittelnden Kommissar gerichtet,
alle an den Polizeipräsidenten. Keine einzige zum Fall Wilczek, alle zum Fall Wassermann . Und schließlich zu den Maiunruhen. Binnen weniger Sekunden war die ganze Konferenz gekippt. Zörgiebel wurde mit genau den
Themen konfrontiert, von denen er eigentlich hatte ablenken wollen. Seine ausweichenden Antworten hatten die Reporter nicht
beruhigen können, sondern nur noch mehr gereizt, und schließlich hatte er die Konferenz kurzerhand für beendet erklärt.
Da waren sie endgültig über ihn hergefallen.
Und sie standen immer noch da. Nun schauten sie Rath an mit erwartungsvollen Gesichtern. Bis auf vereinzeltes Gemurmel war
es ruhig im Saal. Die Meute war wieder halbwegs gezähmt.
»Bitte, meine Herren, stellen Sie Ihre Fragen«, sagte Rath.
Ein Reporter hob sogar die Hand, doch ein weniger gut erzogener Kollege kam ihm zuvor.
»Herr Kommissar, vor über einer Woche hat man uns an dieser Stelle Fotos von einem verstümmelten toten Mann gezeigt, den die
Polizei aus dem Landwehrkanal gezogen hat. Wir haben die Fotos brav veröffentlicht, nun haben wir auch ein Recht darauf, über
den Fortgang der Ermittlungen informiert zu werden.«
»Genau, es muss doch Ermittlungsfortschritte geben!«
»Richtig! Sie können uns doch nicht einfach …«
Sie schaukelten sich wieder hoch. Rath hob beschwichtigend die Hand.
»Meine Herren«, sagte er, als wieder Ruhe im Saal herrschte. »Ich muss Sie enttäuschen, über diesen Mordfall habe ich keinerlei
Kenntnisse. Ich kann Ihnen gerne all Ihre Fragen zum Fall Wilczek beantworten, soweit mir das möglich ist.«
Der Geräuschpegel stieg wieder an, doch es war nur ein kurzes Anschwellen. Rath lächelte freundlich, aber bestimmt in die
Runde. Wenn er wollte, konnte er aalglatt sein. Und diese Bande wildgewordener Geschichtenerfinder da unten hatte nichts anderes
verdient als einen aalglatten Kriminalkommissar.
»So können Sie uns doch nicht abspeisen!«
»Tut mir leid, mein Herr, aber redlicherweise kann ich Ihnen nur Fragen zu einem Fall beantworten, den ich auch bearbeite.
Da muss ich um Ihr Verständnis bitten. Wir wollen doch seriös bleiben!«
Er hörte noch ein paar vereinzelte Protestbekundungen, die sich aber immer mehr zu einem allgemeinen Grummeln vermengten.
Die Reporter trollten sich Richtung Tür, der Saal leerte sich immer schneller, als habe man in einer Badewanne den Stöpsel
gezogen.
Im Nu waren sie alle verschwunden, die plötzliche Ruhe im Konferenzsaal wirkte gespenstisch. Der Kommissar stieg vom Podium.
Ein Mann war an der Tür stehen geblieben. Rath erkannte Berthold Weinert. Der Journalist grinste, als sein Nachbar ihn begrüßte.
»Glückwunsch, Gereon«, sagte er. »So raffiniert bin ich schonlange nicht mehr abgewimmelt worden. Erst schleust du den PP aus dem Saal, dann spielst du den Dummen.«
Rath ging nicht darauf ein. »Bist du nicht politischer Journalist? Seit wann kümmerst du dich um Kriminalfälle?«
»Verbrechen oder Politik, wo ist da der Unterschied? Nein, Scherz beiseite, im Moment bin ich auch Polizeireporter. Man muss
flexibel sein in meinem Beruf.«
»Ich habe mich gewundert, dass so viele von euch hier waren.«
»Stimmt, wir sind vor nicht einmal zwei Stunden informiert worden. Eigentlich eine Frechheit, wo ihr doch gestern schon den
ganzen Tag an dem Fall gearbeitet habt. Aber da alle Versuche, mehr Informationen über den Toten aus dem Landwehrkanal zu
bekommen, in den letzten Tagen blockiert wurden, wollten viele Kollegen wohl die Gelegenheit ergreifen, Zörgiebel noch einmal
vor die Flinte zu kriegen.«
»Das ist ihnen ja auch gelungen.«
Weinert zuckte mit den Schultern. »Wie man’s nimmt. Letzten Endes sind alle unverrichteter Dinge abgezogen.«
»Sie haben doch jetzt eine richtig schöne Geschichte aus dem
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