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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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arbeitete, von
     dem von vornherein klar war, dass er ihn zu den nassen Fischen stellen musste? Rath haderte mit sich, als er über die langen
     Gänge der Burg zurück in Roeders kleines Büro spazierte. Nicht der ideale Augenblick, zugegeben, aber würde es je einen besseren
     geben? Eine Planstelle in der Inspektion A wurde frei, der Polizeipräsident war ihm wohlgesinnt, jetzt musste er nur noch
     zeigen, was er draufhatte.
    Und genau da lag das Problem.
    Er durfte es nicht zeigen.
    Ausgerechnet mit dem vermaledeiten Fall Wilczek sollte er auch noch vor die Journaille treten! Der PP brauchte gute Presse
     wie ein Morphinist den nächsten Schuss. Hoffentlich ließ er sich diesmal nicht wieder zu unüberlegten Versprechungen hinreißen.
    Rath war am Ende des Gangs angelangt, sozusagen am Wurmfortsatz der Inspektion A. Die Einsamkeit in Roeders Büro empfing ihn
     wie einen alten Freund. Eine Schreibmaschine gab es nur im Vorzimmer. Also setzte sich Rath an den verwaisten Sekretärinnenschreibtisch,
     spannte ein Blatt Papier ein und überlegte.
    Die wichtigsten Dinge im Fall Wilczek hatte er glücklicherweise erledigt, vor allem seine größte Sorge, das Projektil, war
     aus der Welt. Das Ergebnis der Ballistik, das in den nächsten Tagen vorliegen müsste, würde seine These von einem Streit unter
     Verbrechern mit tödlichem Ausgang, die er gleich vorzutragen gedachte, nur bestätigen. Nun musste er die bisherigen Ermittlungsergebnisse
     noch zu einer schönen Geschichte verquirlen und die derzeitigen Aktivitäten des Frischlings und der beiden A-Kollegen dort
     einflechten, und die Presse hätte ihr Futter. Schießerei im Ganovenmilieu. So was gehörte im Osten doch zum Alltag. Und die Leser in den wohlbehüteten Vierteln des Westens liebten solcheGeschichten, die ihnen in der Sicherheit ihrer Salons eine kleine Gänsehaut über den Rücken jagten und gleichzeitig bestätigten,
     was sie schon immer geahnt hatten: dass Berlin es in wirklich jeder Hinsicht durchaus mit Chicago aufnehmen könne.
    Die Meute hatte Blut geleckt. In diesem Moment hätte Rath nicht mit dem Polizeipräsidenten tauschen mögen. Beschwichtigend
     hob Zörgiebel beide Hände, doch seine Versuche, sich des Ansturms zu erwehren, wirkten eher wie eine Geste der Hilflosigkeit.
    »Aber meine Herren!«
    Die Worte waren kaum zu hören, so viele Fragen wurden ihm entgegengeschleudert. Eine Meute hungriger Pressewölfe umlagerte
     den Polizeipräsidenten, der gerade vom Podium des kleinen Konferenzsaals trat. Noch einmal hob er die Hände, und für einen
     Moment schien es, als würde der Geräuschpegel durcheinanderrufender Stimmen tatsächlich ein wenig sinken.
    »Aber meine Herren, ich habe Ihre Fragen doch beantwortet!«, sagte Zörgiebel. »Mehr gibt es nicht zu sagen. Nun lassen Sie
     mich doch bitte gehen, ich habe einen wichtigen Termin.«
    Er versuchte, ein paar Schritte zum Ausgang zu gehen, kam jedoch nicht weit, die Meute preschte wieder vor, die Fragen hagelten
     erneut.
    »Wird Berlin wieder unsicherer, Herr Polizeipräsident?«
    »Wie kann es sein, dass ein Mörder nach Wochen immer noch frei herumläuft?«
    »Die Verbrechen häufen sich – hat die Polizei die Lage noch im Griff?«
    »Wird es eine interne Untersuchung der blutigen Maizwischenfälle geben?«
    Die Meute ließ nicht locker. Der Polizeipräsident wirkte wie ein Stier, der mitten in ein Wolfsrudel geraten war: Groß und
     kräftig, aber ohne Chance. Ein Blitzlicht flammte auf, Zörgiebel hielt eine Hand schützend vor sein geblendetes Gesicht. Rath
     konnte es nicht mehr mit ansehen. Er beschloss, bei seinem Chef Punkte zu sammeln. Er sprang zurück auf das Podest, das er
     bereits verlassen hatte, und hob die Hände. Es wirkte weniger abwehrend als Zörgiebels Geste, sondern eher so, als ob er wirklich etwas
     zu sagen hätte.
    »Meine Herren, ich bitte Sie!« Es half. Die ersten Reporter drehten sich zu ihm um. »Bitte lassen Sie den Polizeipräsidenten
     gehen! Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte an mich!«
    Inzwischen hatte Rath so viel Aufmerksamkeit erlangt, dass die Meute von Zörgiebel abließ. Der nutzte die neu gewonnene Freiheit
     und arbeitete sich weiter zum Ausgang vor. Dort warteten Schupos, die die Aufgabe übernahmen, den Polizeichef unbehelligt
     aus dem Saal zu bringen. Rath schaute seinem Chef nach, bis der aus dem kleinen Konferenzsaal verschwunden war.
    Zörgiebel hatte sich verrechnet. Die Pressekonferenz war zu einem Desaster geworden.

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