Der nasse Fisch
Verbrechermilieu. Ich dachte, ihr liebt so was.«
»Du hast dir mit deiner Aktion vorhin nicht gerade Freunde gemacht bei meinen Kollegen«, sagte Weinert.
»Was soll’s? Einen Journalisten habe ich ja noch als Freund. Oder?«
Er reichte Weinert die Hand.
»Nennen wir es lieber Geschäftsfreund«, meinte der, bevor er einschlug.
Sie verabschiedeten sich vor dem Konferenzsaal. Weinerts Einladung zum Mittagessen lehnte Rath ab. Er wollte sich nicht ausfragen
lassen. Nicht jetzt. Er ging zurück in das kleine Büro. Er musste erst einmal seine Ruhe haben, die neue Lage überdenken.
Der Chef der Berliner Polizei hatte ein Problem. Und genau das könnte zum Karrieresprungbrett für den jungen, hoffnungsvollen
Kriminalkommissar Gereon Rath werden. Nach dieser desaströsen Konferenz wusste Rath, dass er weiter an diesem Fall arbeiten
musste, auch wenn er nicht zu Böhms Truppe gehörte. Aber immerhin arbeitete er jetzt für die Mordinspektion. Gut, dass er in Roeders
Büro seine Ruhe hatte. Und gut auch, dass Wilczek mit der Berolina zu tun hatte. So konnte Rath vielleicht eine Verbindung zwischen beiden Fälle konstruieren, die es halbwegs plausibel machte,
dass er so viele Informationen über den Fall Wassermann zusammengetragen hatte: Im Rahmen seiner Ermittlungen im Fall Wilczek war Kriminalkommissar Gereon Rath auf einen mysteriösen
Goldschatz und einen flüchtigen Russen namens Alexej Kardakow gestoßen und konnte so der Mordkommission Möckernbrücke den entscheidenden Hinweis in einem Fall geben, an dem sich Oberkommissar Wilhelm Böhm die Zähne ausgebissen hatte.
Das Telefon klingelte, Rath ließ es klingeln. Entweder ein Verleger oder der Polizeipräsident. Der konnte sich später noch
bedanken. Es war fast zwölf, Zeit für eine Mittagspause. Die würde er diesmal nicht in der Kantine verbringen, und auch nicht
bei Aschinger. Er schaute auf die Uhr. Mit der Bahn bräuchte er keine halbe Stunde bis Schöneberg. Pflegten Musiker nicht
gegen Mittag zu frühstücken? Vielleicht könnte er eine Tasse Kaffee abstauben.
»Herr Kommissar! Welch eine Überraschung!«
Ilja Tretschkow machte einen reichlich verschlafenen Eindruck, als er die Tür öffnete. Dennoch hatte der Musiker ihn gleich
wiedererkannt. Die Haare des Trompeters standen wirr vom Kopf ab, er trug einen Hausmantel, dessen Stickereien dem Kaiser
von Byzanz alle Ehre gemacht hätten. Er gähnte, doch seine Augen flitzten hellwach in ihren Höhlen hin und her.
»Darf ich reinkommen?«, fragte Rath.
»Selbstverständlich.«
Die Wohnung war aufgeräumter, als Rath erwartet hätte. Und größer. Tretschkow schien über mehr Geld zu verfügen als seine
ehemalige Sängerin. Er führte ihn in einen kleinen Salon, durch die hellen Gardinen fielen sanfte Sonnenstrahlen. Auf dem
Tisch lagen ein paar Notenblätter und ein Bleistift. Tretschkow räumte den Tisch frei.
»Ich habe gerade zu arbeiten begonnen«, sagte er entschuldigend und ging mit dem Papier hinaus. »Trinken Sie etwas?«, fragte
er in der Tür.
»Wenn Sie Kaffeewasser aufgesetzt haben …«
»Teewasser.«
Natürlich, der Mann war Russe. »Auch gut«, sagte Rath. Als er allein war, schaute er sich um. Ein schönes Zimmer, alles stand
an seinem Platz, Tretschkow schien ein disziplinierter Mann zu sein, kein Bohemien, auch wenn er lange schlief. Rath entdeckte
eine Tschaikowsky-Büste auf dem Bücherregal. Auf den Buchrücken waren überwiegend kyrillische Buchstaben zu finden, aber auch
ein paar deutsche Namen. Nichts Politisches, soweit Rath das in der Kürze der Zeit beurteilen konnte. Und das Wort Krasnaja Krepost war auch nicht darunter, weder in kyrillischen noch in lateinischen Buchstaben. In der Tür klapperte Geschirr, Tretschkow
kam mit einem kleinen Tablett zurück, auf dem zwei Teetassen dampften.
»Schon fertig?«, wunderte sich Rath.
»Mit einem Samowar geht das schnell«, meinte Tretschkow, »ein kleines bisschen Heimat versucht sich jeder von uns zu bewahren.
Die meisten Russen sind nicht freiwillig in Berlin.«
Er stellte die Tassen auf den Tisch, sie setzten sich.
»Sie müssen mein Aussehen entschuldigen«, sagte Tretschkow, »aber ich habe nicht mit Besuch gerechnet. Meine Freunde wissen,
dass ich spät aufstehe. Wenn die Band ein Engagement hat, bin ich meist erst gegen vier zu Hause.«
Rath nahm einen Schluck. Der Tee war sehr stark.
»Was kann ich für Sie tun, Herr Kommissar?« Der Musiker machte denselben Eindruck wie
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