Der nasse Fisch
verdächtigen sei absurd«,
sagte er. »Wie sehen Sie das denn bei Kardakow?«
»Der?« Tretschkows Stimme klang verächtlich. »Für seine abstrusen politischen Ideen würde der alles tun. Der würde jeden töten,
der seiner ach so gerechten Sache im Weg steht. Sogar sich selbst!«
»Meinen Sie, er könnte die Gräfin auf dem Gewissen haben?«
»Sie meinen …«
»Ich meine vorerst gar nichts. Aber Kardakow ist verschwunden. Halten Sie so etwas für möglich?«
Tretschkow sagte nichts mehr, aber in seinem Gesicht sah Rath, dass er die schlimmsten Ängste des Musikers ausgesprochen hatte.
Er stand auf. Es war Zeit, in die Burg zurückzukehren.
»Gut, Herr Tretschkow, ich möchte Sie nicht länger behelligen. Aber eine Frage müssen Sie mir noch beantworten: Was haben
Sie damals in dem Mantelfutter gefunden?«
Der Musiker stand auf und ging zu dem Regal, das Tschaikowsky bewachte. Er kam mit einem Notenheft zurück, das er auf den
Tisch legte. Wie Jazz sah das nicht aus. Der Musiker verschwand wieder aus dem Zimmer und kehrte kurz darauf mit einem Messer
zurück.
»Ich spiele auch Klassik«, sagte er, als er bemerkte, dass Rath die Noten studierte. Es klang beinahe entschuldigend. »Aber
mit Tanzmusik lässt sich in dieser Stadt mehr Geld verdienen.« Er nahm das Messer und trennte den dicken Pappeinband auf.
Ein dünner weißer Briefumschlag fiel heraus und landete neben Tretschkows Teetasse.
Der Musiker reichte ihn an den Kommissar weiter.
»Ich habe ihn noch nicht geöffnet«, sagte er nur. »Ich habe es nicht gewagt.«
[ Menü ]
22
D er Bülowplatz war immer noch eine der schäbigsten Ecken der Stadt. Das Einzige, was er im Übermaß besaß, war Raum. Über die
riesige freie Fläche pfiff ein boshafter Wind, dem nur die Volksbühne ein wenig Widerstand entgegensetzte, deren schmuckloser
Bau inmitten der leer geräumten Brache wirkte wie ein in der Wüste gestrandeter Dampfer. Vor zwanzig Jahren schon hatte man
hier alles abgerissen, die engen, alten Gassen des Scheunenviertels, doch Neubauten ließen bis heute auf sich warten. Das
Dreieck rings um die Volksbühne wurde hauptsächlich von Bauzäunen und Barackengeformt, kleine Holzhütten, in denen Zigaretten, Bier und Brause verkauft wurden, in denen sogar ein Friseur Damen und Herren
preiswerte Pariser Haarkünste andiente. Die Wüste zeugte von ehrgeizigen Plänen ehrgeiziger Stadtplaner. Von gescheiterten
Plänen. Aber Platz hatte man geschaffen, immerhin. Eine breite Schneise in die verwinkelte Enge des Scheunenviertels geschlagen.
Der Wind trieb eine alte Zeitung vor sich her, als der Oberkommissar den Platz betrat. Es war nach wie vor eine armselige
Gegend. Kein Wunder, dass die Kommunisten hier ihre Zentrale hatten, dachte Wilhelm Böhm, als er sich dem Gebäude näherte.
Das Liebknechthaus glich einer politischen Litfaßsäule, so dicht war seine Fassade mit Parolen zugepflastert, unterbrochen
nur von riesigen Porträts: Lenin, Luxemburg, Liebknecht.
Vor dem Haus waren die Reste einer Kundgebung zu sehen. Ein verlassenes Rednerpult, das gerade abmontiert wurde, weggeworfenes
Butterbrotpapier, leere Bierflaschen. Ordentlich waren die Kommunisten nicht gerade.
Zwei Schupos schoben vor der Bretterbude Wache. Cigaretten zu Originalpreisen verkündete eine verblasste Werbeschrift auf dem Holz über ihren Köpfen, die rote Farbe war teilweise abgeblättert. Zwei rostige
Emailtafeln warben für Engelhardt Biere und Engelhardt Special Hell . Die Wachen vor dem dunklen Eingang fühlten sich in ihren blauen Uniformen sichtlich unwohl, keine gute Gegend für Männer
mit Tschako.
Böhm schaute sich um, als er die Baracke erreichte. Das Mordauto war noch nicht eingetroffen. Er hatte gewusst, dass er zu
Fuß schneller sein würde, er hätte doch mit Gräf wetten sollen. Die Baustellen auf dem Alex waren derzeit das schlimmste Verkehrshindernis
der Stadt. Auch für ein Polizeiauto.
»Tach«, raunzte Böhm die Schupos an und zeigte seine Marke, »haben doch hoffentlich nichts angefasst.«
»Nein, Herr Oberkommissar. Tatort so wie vorgefunden.«
»Wer hat den Mann denn entdeckt?«
Der ältere Schupo zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. War ’ne anonyme Meldung per Telefon. Vermute mal ein Penner,der sich gewundert hat, dass da ’ne Leiche in seinem Bett liegt. Oder in seinem Klo.«
»Ein Penner, der die Bullen anruft? Einmal telefonieren, weil der Notruf nischt kostet? Na, vielleicht haben Sie recht.
Weitere Kostenlose Bücher