Der nasse Fisch
und wie ein Kommunist
schon gar nicht. Eher wie ein Generaldirektor. Und komischerweise war noch ein Chinese dabei. Ziemlich international, dieser
Abend.«
Marlow , schoss es Rath durch den Kopf. Der Mann im Pelzmantel konnte nur Johann Marlow gewesen sein! Marlow und sein chinesischer
Schatten in der Nürnberger Straße! Aber warum besuchte die Unterweltgröße einen mickrigen Koksverkäufer, ein kleines Rädchen
in seiner Organisation? Nur, wenn das ein lukratives Geschäft versprach. Vierzig Prozent konnten lukrativ sein. Vierzig Prozent
von achtzig Millionen Mark!
»Tja«, fuhr Weinert fort, »wie gesagt, Neugierde ist meine Berufskrankheit. Ich wollte wissen, was es mit dieser Roten Festung auf sich hat.«
»Und das hat dir Kardakow erzählt?«
»Natürlich nicht. Den habe ich auch gar nicht erst gefragt. Viel zu riskant, wenn der entdeckt hätte, dass ich sein Treffen
belauscht habe! Die Rote Festung arbeitet im Untergrund! Ich hab schön stillgehalten und anderweitig recherchiert. Da gibt es noch andere Quellen. Und da
sind ein paar interessante Sachen zusammengekommen.«
»Die Rote Festung will die deutsche Regierung stürzen?«
»Nein, eher die sowjetische.«
»Du machst Witze!«
»Dass sie auf Stalin nicht gut zu sprechen waren, das wusste ich schon seit jenem Märzabend. Da haben die so auf die Moskauer
Regierung geschimpft, dass ich eigentlich nicht gedacht hätte, dass da Kommunisten reden. Sind sie aber. Und was für welche.
Der Name sagt’s ja eigentlich schon. Die Rote Festung hält sich für den Hüter der wahren kommunistischen Lehre nach Lenins Tod.«
»Das tun Stalin und Thälmann auch.«
»Das tut so ungefähr jeder Rote. Das ist das Problem der Linken: dass sie sich gegenseitig mehr bekämpfen als ihren gemeinsamen
politischen Gegner. Trotzkist ist bei den Thälmanns ein schlimmeres Schimpfwort als Nazi .«
»Gehört denn Trotzki auch zur Roten Festung ?«
»Schwer zu sagen. Es gibt solche Gerüchte. Aber er selbst hat sich nie in dieser Richtung geäußert. Vielleicht wartet er aber
auch nur ab, bis die Rote Festung Erfolg hat, und offenbart sich dann.«
»Und was will die Rote Festung ?« Erst als er die Frage ausgesprochen hatte, bemerkte Rath, dass er gerade die Überschrift über Weinerts Artikel zitiert
hatte.
»Ihr höchstes Ziel ist natürlich die Weltrevolution. Aber erst einmal wollen sie den Sozialismus in der Sowjetunion wieder
in die richtigen Bahnen lenken. Und dazu müssen sie natürlich Stalin stürzen.«
»Natürlich. Irre ich mich, oder sind die Brüder ein bisschen größenwahnsinnig?«
»Sie haben nur hochgesteckte Ziele. Dass für einen Staatsstreich nicht nur Idealismus, sondern auch jede Menge Geld nötig
ist, das sehen sie offensichtlich ganz realistisch. Ich frage mich nur, wo sie das Geld herbekommen wollen. Welcher Geschäftsmann
unterstützt schon Kommunisten? Selbst wenn die gegen andere Kommunisten losschlagen wollen?«
»Ich glaube, diese Antwort kann ich dir geben«, sagte Rath.
Weinert hatte ihm eine ganze Menge erzählt, also spielte auch er, soweit es ihm möglich war, mit offenen Karten. Rath erzählte
Weinert alles über seine bisherigen Erkenntnisse im Fall Wassermann , die Verbindung Kardakows zur Gräfin Sorokina, über den Goldschatz ihrer Familie, der angeblich aus der Sowjetunion nach
Berlin geschmuggelt werden sollte, über Marlow und den Ringverein des roten Hugo, die bei der ganzen Sache eine undurchsichtige
Rolle spielten. Allerdings sah Rath nach Weinerts Schilderungen jetzt klarer, was das für eine Rolle sein könnte: Kardakow
wollte zusammen mit seiner Freundin das Sorokin-Gold nach Deutschland schmuggeln und für seine hochgesteckten politischen
Ziele nutzbar machen. Und Marlow sollte das auffällige Gold, nach dem überdies auch Stalins Leute fahndeten, für die Rote Festung in unauffällige Reichsmarkscheine und Kontoauszüge verwandeln. Kardakow hatte seinen Chef als Hehler eingespannt. Für vierzig
Prozent.
»Interessant, interessant«, sagte Weinert. »Und warum habt ihr das nicht in der Pressekonferenz verkündet?«
»Weil das die laufenden Ermittlungen gefährdet hätte«, log Rath, ohne näher darauf einzugehen. Das bewährte Totschlagargument,
das jeden Journalisten mattsetzte.
»Und warum erzählst du es mir?«
»Weil ich dank deiner Hilfe jetzt schon einen gewaltigen Schritt weiter bin. Und weil dies hier ein vertrauliches Gespräch
ist. Du darfst diese
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