Der nasse Fisch
protestierte er. »Merken Sie sich das!«
Rath überhörte das. »Sie haben mir nur fünf Adressen rausgesucht«, schimpfte er.
»Natürlich.«
»Auf meiner Liste stehen aber sechs Namen.«
»Aber nur fünf Deutsche, der hier …« Er zeigte auf den vierten Namen in der Reihe. »… den haben wir hier nicht. Der muss Ausländer
sein.«
»Ausländer in der Rotfront?«
»Wieso nicht? Iwanow. Hört sich russisch an, finden Sie nicht? Und rote Russen gibt’s doch mehr als genug.«
»Also muss ich ins Passamt für Ausländer?«
»Die Passstelle des Fremdenamtes. Die finden Sie …«
»… links am Ende des Ganges, Zimmer 152«, ergänzte Rath.
Der Passbeamte schaute ihn mit großen Augen an, die Lesebrille immer noch auf der Nase. Als sich ein Ausdruck des Erkennens
in seinem Gesicht breitmachte, war Rath schon verschwunden
Der Beamte im Zimmer 152 war unkomplizierter und weniger auf das Einhalten sämtlicher Vorschriften bedacht. Besser gelaunt
als der Alte war er jedoch auch nicht. Eher schlechter.
Er habe zu tun, raunzte er Rath an, als der sein Anliegen vorgetragen hatte. »Schau’n Se doch selber nach. Können doch wohl
noch ’nen Schrank aufmachen, wa?«
Und so stand Rath jetzt vor demselben großen Rollschrank, in dem der Alte vor zwei Wochen die Kartei von Kardakow gefunden
hatte. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen. Bevor er den Buchstaben I durchging, blätterte er die K-Karteien durch.
Vielleicht hatte er inzwischen seinen Personalausweis erneuert … Da hatte er die Kartei. Es war noch alles so, wie es der
Alte damals vorgelesen hatte. Als letzte Adresse war die Nürnberger Straße 28 angegeben. Das hieß aber auch, dass Kardakow
nun keine gültigen Papiere mehr besaß. Vielleicht brauchte er die nicht länger, weil er inzwischen längst mit gefälschten
Papieren und neuem Namen lebte. Rath steckte die Karte zurück. Noch zwei Namen kamen ihm in den Sinn. Russen, mit denen er
noch eine Rechnung offen hatte. Die irgendetwas mit Kardakow zu tun haben mussten und deswegen in das Paket gehörten, das
er Zörgiebel schnüren wollte. Fallin wohnte in der Yorckstraße, und auch die zweite Adresse lag in Kreuzberg, der Eintrag
musste erst kürzlich geändert worden sein. Als Rath klar wurde, was er da las, wäre ihm fast der Stift aus der Hand gefallen.
Vitali Pjotrewitsch Selenskij wohnte am Luisenufer!
Wahrscheinlich im Hinterhaus und mit dem schönen deutschen Namen Müller auf dem Türschild. Jetzt war Rath sicher, dass die Muskelrussen zu Kardakow und zur Roten Festung gehörten. Wahrscheinlich seine Leibwächter. Und einer abkommandiert zum Schutz der Freundin des Chefs, unter dem Allerweltsnamen
Müller in deren Mietshaus eingeschleust. Nicht gerade sehr originell, aber es hatte funktioniert. Bis jetzt.
Er notierte die Adressen. Zwei weitere Steinchen zu einem Mosaik, das zwar längst noch nicht komplett war, aber immer deutlichere
Konturen annahm. Es war an der Zeit, sein Wissen mit anderen zu teilen. Er lächelte zufrieden.
Fast hätte er vergessen, die Adresse herauszusuchen, wegen der er eigentlich hergekommen war.
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24
L ieber Herr Zörgiebel, vernachlässigt die Berliner Polizei ihre Pflicht?
Einige Vorfälle in der jüngsten Vergangenheit geben uns Anlass, Ihnen diese Frage zu stellen. Die Pflicht der Polizei ist
es, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten, Verbrechen aufzuklären und bei all dem Gerechtigkeit walten zu lassen. Wird die
Berliner Polizei dieser Aufgabe noch gerecht?
Stellen Sie sich vor, lieber Herr Zörgiebel, Sie sitzen in einem Konzertsaal. Plötzlich stürmt Polizei herein und schießt
mit einem Maschinengewehr ins Parkett, weil dort angeblich auch zwei Taschendiebe sitzen. Unverhältnismäßig!, rufen Sie aus?
Und doch ist genau dies in Ihrer Stadt geschehen. Nicht in einem Konzertsaal, sondern auf den Straßen, im Wedding, in Neukölln,
mitten in Berlin.
Ihre Polizei, deren Aufgabe es ist, für Recht und Ordnung zu sorgen, hat Recht und Ordnung gebrochen. Sie hat den Bürger nicht
vor Gewalt geschützt, sie hat Gewalt an ihm ausgeübt.
Sie gaben uns neue Hoffnung, als das Opfer eines Gewaltverbrechens aus dem Landwehrkanal geborgen wurde und Sie uns hoch und
heilig versprachen, alles zu tun, dass der Mörder gefasst wird und sich der Bürger wieder sicher fühlt.
Wenn Sie uns das versprechen, Herr Zörgiebel, warum ziehen Sie dann sämtliche Kräfte von diesen Ermittlungen ab?
Ich sage Ihnen warum:
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