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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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gewesen. Zwei Männer in grauen Mänteln und Hüten, darin stimmte die Beschreibung überein. Weitere Details
     gab es nicht, keine Gesichtszüge, keine Besonderheiten. Nicht einmal bei der Haarfarbe waren die Zeugen sicher.
    Die Vernehmungsprotokolle von Charlotte Ritter studierte Rath besonders gründlich. Sie waren sorgfältiger abgefasst als seine
     eigenen, mehr herausbekommen hatte sie aber offensichtlich auch nicht. Im Haus Heinrich-Roller-Straße 17 gab es keine Zeugen
     des Vorfalls. Jedenfalls keine, die sie angetroffen hätten.
    Kurz nach acht kam Erika Voss, überrascht, ihn im Büro zu sehen.
    »Sonst sind Sie nie so früh hier, Herr Kommissar!«
    »Sie hoffentlich schon, Fräulein Voss.«
    Ohne dass er sie darum bitten musste, setzte sie Kaffee auf. Bislang hatte er nur Zigaretten geraucht, um wach zu werden,
     undwar froh, als er nun eine dampfende Tasse vor sich stehen hatte. Er versuchte, seine Gedanken zu sortieren, aber es gelang
     ihm nicht. Zum einen, weil sie einfach noch zu wenig Informationen hatten, um daraus etwas Sinnvolles zusammenzusetzen. Zum
     anderen, weil dauernd eine Frau in seinen Gedanken herumspukte. Eine Frau, die dort nichts verloren hatte. Ein schmales, hübsches
     Gesicht, ein entschlossener Mund, dunkle Augen, in denen man versinken konnte. Und wenn sie lächelte, das Grübchen auf der
     linken Wange. Wenn sie lächelte.
    Er musste raus. Als er die Protokolle in Gennats Büro zurückbrachte, war dort schon mehr los. Gertrud Steiner war natürlich
     an ihrem Platz, Henning und Czerwinski standen zusammen mit dem Kriminalrat an dessen Schreibtisch. Vor ihnen lagen Stadtpläne,
     auf denen Waldstücke markiert waren. Gennat gab ein paar kurze Anweisungen, aus denen Rath schloss, dass heute noch damit
     begonnen wurde, die Fichtenwälder rund um die Stadt zu durchkämmen.
    Dennoch willigte Gennat ein, als Rath ihm sagte, was er vorhatte. Im Blick des Kriminalrats glaubte er tatsächlich so etwas
     wie Anerkennung zu entdecken, in jedem Fall Zustimmung. Wie auch immer: Der Buddha schien ihn zu mögen, und das war in der
     Inspektion A erst einmal das Wichtigste. Da konnte sich ein Böhm noch so querstellen.
    Die morgendliche Besprechung ersparte Gennat ihm allerdings auch nicht. Wieder dieser Stich, als Charly auftauchte. Wenigstens
     hatte sie ihn gegrüßt. »Guten Morgen, Herr Kommissar«, hatte sie gesagt. Die Besprechung dauerte nicht lange, sie hatten noch
     nicht viel zu besprechen. Im Wesentlichen ging es um eine Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse und um die aufwändige
     Fichtenwaldaktion, bei der einige Hundertschaften Schutzpolizei eingesetzt werden sollten. Neben Henning und Czerwinski teilte
     der Buddha weiteren Kriminalbeamten Waldstücke zu, deren Durchsuchung sie überwachen sollten. Meist arbeiteten sie zu zweit.
     Für einen Moment befürchtete Rath (vielleicht hoffte er es auch, so genau konnte er das gar nicht sagen), Gennat würde ihnwieder mit Charly zusammenpacken. Doch der Buddha ließ ihn allein arbeiten. Und machte keinen Waldarbeiter aus ihm.
    Um neun war Rath endlich auf der Piste. Er fuhr noch einmal zum Friedhof raus. Die bisherigen Aussagen verifizieren, vielleicht
     ein paar ergänzende bekommen. Vor allem wollte er sich mal in der Schule umsehen. Bislang hatten sie nur die wenig hilfreichen
     Aussagen des Hausmeisters und seiner Frau. Heute Morgen würde das anders aussehen. Mit so vielen potenziellen Zeugen wie die
     Schule konnte kein anderes Haus in der Heinrich-Roller-Straße aufwarten.
    Ungefähr 300 Jungen drückten um kurz nach neun die Schulbank in der 58. Volksschule für Knaben, als Rath höflich beim Rektor
     vorsprach. Seinen Besuch hätte er sich dennoch sparen können. Als Rath den Wunsch äußerte, alle Klassen besuchen zu dürfen,
     deren Fenster zum Friedhof hinausgingen, kanzelte ihn der Schulleiter, der auf den schönen Namen Edelhard Funke hörte, rigoros
     ab: Das sei doch wohl überflüssig! Natürlich habe niemand etwas beobachten können!
    »Unsere Schüler folgen dem Unterricht, sie schauen nicht auf die Straße«, lautete die lapidare Auskunft. Als Rath protestieren
     wollte, unterbrach ihn der aalglatte Kerl mit einer Gegenfrage: »Wann nochmal, sagten Sie, soll sich die Tat ereignet haben?«
    »Zwischen zehn und elf, wahrscheinlich aber zwischen halb elf und elf.«
    »Na sehen Sie!« Rektor Funke triumphierte, als habe er gerade den Satz des Pythagoras erfolgreich hergeleitet. Wahrscheinlich
     Mathematiklehrer.

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