Der nasse Fisch
Friedhofs
zogen, auch wenn er sich nicht mehr an die genaue Uhrzeit erinnern konnte. Nach und nach kamen immer mehr Kollegen zurück,
auch die, die das Friedhofspersonal verhört hatten. Der Buddha hörte sich geduldig alle Berichte an. Er machte kaum Notizen.
Ihm wurde ein ungeheures Gedächtnis nachgesagt.
Langsam erhielten sie ein klareres Bild von dem, was passiert sein musste. Nur ein einziges Grab hatte der Friedhofsgärtner
gestern ausgehoben, das von Jänicke. Heute, kurz vor zehn, so hatte der Mann versichert, habe noch keine Leiche darin gelegen,
da habe er noch einmal die Balken kontrolliert, auf denen der Sarg abgesetzt werden sollte. Also mussten die Männer – wenn
es denndie zwei waren, die der Zeuge gesehen hatte – ihren Job in dieser Zeit erledigt haben. Immerhin etwas, wo man ansetzen konnte.
Erst mit den letzten Kollegen von der Heinrich-Roller-Straße kam auch Charly zurück. Sie ging neben Reinhold Gräf. Lächelnd.
Munter plaudernd.
Ohne Vorwarnung überfiel Rath die Eifersucht und versetzte ihm einen schmerzhaften Stich.
Scheiße! , dachte er. Du hast schon genug Probleme am Hals, da brauchst du nicht noch welche wegen dieser Frau! Vergiss Charly, schlag sie dir aus
dem Kopf! So musst du dich nicht behandeln lassen!
Fürs Erste war ihre Arbeit hier getan. Die ersten Kriminalbeamten waren schon auf dem Weg zurück in die Burg, um ihre Berichte
zu schreiben. Zwei Bestatter hatten Kardakows Leiche aus dem Grab geholt und legten sie vorsichtig in einen Zinksarg. Dann
machten sie sich auf den Weg. An der Greifswalder Straße wartete der Leichenwagen.
Eigentlich die falsche Richtung, dachte Rath, als er die Männer beobachtete. Vom Grab in den Leichenwagen. Normalerweise nahmen
die Toten den umgekehrten Weg.
Das Donnerwetter hatte er kommen sehen.
Als Rath in die Burg zurückkehrte, hatte Erika Voss schon mit der Nachricht gewartet.
»Der Herr Polizeipräsident wünscht Sie zu sprechen, Herr Kommissar.«
Rath wusste, dass es keine normale Besprechung werden würde, und er sollte Recht behalten. So wütend hatte er den Dicken noch
nie erlebt. Zörgiebel hatte seinen Schreibtisch verlassen und ging im Zimmer auf und ab. Die Stimme bewegte sich in den höchsten
Tonlagen.
Die Tür zum Vorzimmer war verschlossen, aber Rath wusste, dass Dagmar Kling jedes Wort mithören konnte, wenn man nur laut
genug sprach. Und Zörgiebel sprach laut.
»Haben Sie überhaupt eine Vorstellung davon, in welche Situation Sie mich gebracht haben?«
Raths Instinkt sagte ihm, dass es besser wäre, jetzt nichts zu sagen, und er hielt sich an seinen Instinkt.
»Sie haben mich und die gesamte Berliner Polizei lächerlich gemacht! Vor aller Welt lächerlich gemacht!«
Rath sagte immer noch nichts. Sollte Dörrzwiebel sich austoben. Wenigstens konnte ihm jetzt niemand mehr nachsagen, der Polizeipräsident
sei sein bester Freund.
»Wir schreiben einen Mann zur Fahndung aus, geben ihn als Hauptverdächtigen in einem Mordfall an, und der Mann ist länger
tot als sein angebliches Opfer! Wie sieht denn das aus?«
»Verzeihung, Herr Polizeipräsident, aber ich habe die Leiche dort nicht deponiert!«
»Das wäre ja auch noch schöner! Aber Sie, lieber Herr Rath, haben den ganzen Polizeiapparat auf eine falsche Fährte gesetzt!
Mit dem größten Aufwand haben wir nach einem Mann gefahndet, der seit Wochen tot ist! Alle Zeitungen haben sein Foto gebracht.
Genauso, wie sie jetzt alle diese unsägliche Geschichte bringen werden. Welche Überraschung halten Sie denn noch für uns bereit?
Welche Leiche taucht als Nächstes auf? Die der Gräfin?«
Rath zuckte mit den Schultern. »Ich hoffe nicht, Herr Polizeipräsident.«
»Das sollten Sie auch verdammt nochmal hoffen! Mein lieber Kommissar, ich weiß nicht, ob Ihnen das klar ist. Aber wenn Sie
nicht der Sohn von Engelbert Rath wären, dann könnten Sie jetzt Ihre Koffer packen für das Kriminalamt Köpenick! Da ist gerade
eine Stelle zu besetzen. Da können Sie entlaufene Katzen wieder einfangen. Und Gott dafür danken, dass ich Sie nicht für den
Rest Ihrer Tage zum Staubwischen in die Asservatenkammer abstelle!«
So schnell also konnte man bei Zörgiebel in Ungnade fallen.
Gestern noch war Gereon Rath der umjubelte Held, derjenige, mit dessen Federn sich der Polizeipräsident schmücken konnte,
und heute war er der Depp vom Dienst, allein verantwortlich dafür, dass Zörgiebel in der Presse eine schlechte Figur
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