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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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den Kater zu. Das Tier schien wenig
     begeistert. Napoleon machte einen Buckel. Langsam wich er zurück.
    Mistvieh! Bleib hier , dachte Rath. Das laut auszusprechen, traute er sich nicht. Nicht etwa wegen Frau Gaede, die hätte ihn sowieso nicht gehört.
     Aber Napoleon könnte noch weiter zurückweichen. Oder womöglich vor Schreck auf die Straße fallen.
    Langsam machte er Fortschritte. Der Abstand zwischen ihm und Napoleon verringerte sich. Er hatte den Kater fast erreicht,
     da ertönte das heisere metallische Rasseln einer Schulklingel. Große Pause in der Volksschule.
    Napoleon erschrak noch mehr als sein angehender Retter. Der fette Kater machte einen Satz nach vorne, schaffte es irgendwie,
     an Raths Beinen vorbeizukommen, und war schneller im Fenster verschwunden, als Rath gucken konnte.
    Der Kommissar brauchte länger für den Weg zurück. Als er gerade rückwärts durch das Fenster wieder in die Wohnung steigen
     wollte, beobachtete er fünf Jungen, die unten über die Straße liefen, elf, höchstens zwölf Jahre alt. Sie kletterten über
     die Backsteinmauer des Friedhofs.
    Von hier oben konnte er prima beobachten, was sie dort wollten: Sie verschwanden unter einem Strauch, ganz in der Nähe von
     Jänickes abgesperrtem Grab, einer schien etwas aus dem Boden zu holen und an die anderen zu verteilen. Kurz darauf zwirbelten
     weiße Rauchfahnen aus dem Strauchgeäst. Die Jungen qualmten fleißig Zigaretten. Es wirkte wie ein eingeübtes Ritual. Es sah
     fast so aus, als würden die Raucher jede Pause dort verbringen. Nettes Pausenvergnügen für Elfjährige!
    Rath ignorierte die Dankesbekundungen von Elfriede Gaede, die ihren fetten Napoleon im Arm hielt und streichelte, schnappte
     Hut und Jackett und ging wieder hinaus auf die Straße.
    Die Länge einer Zigarette kann man am besten abschätzen, wenn man selber eine raucht. Er stellte sich an die Friedhofsmauer
     und fummelte eine Overstolz aus der Packung.
    Er hatte seine Zigarette gerade ausgetreten, da kam der Ersteüber die Mauer. Strohblonde Haare, sommersprossiges, freches Gesicht, vor Überraschung weit aufgerissene Augen.
    Der Junge machte Anstalten abzuhauen, doch Rath packte ihn am Schlafittchen.
    »Ihr versucht besser nicht, mir wegzulaufen«, sagte er. »Ich will mich nur mit euch unterhalten. Wenn ihr mir ein paar Fragen
     beantwortet, ist alles gut, wenn ihr mir Schwierigkeiten macht, muss ich eurem Rektor leider Bescheid sagen, was in der großen
     Pause auf dem Friedhof passiert.« Er zückte seine Marke. »Ich bin nämlich Polizist. Aber einer, mit dem man reden kann.«
    Ein verdutztes Gesicht erschien oben auf der Mauer.
    »Das gilt übrigens auch für deine Freunde«, sagte Rath. »Sag ihnen, sie sollen hier rüberkommen, dann passiert ihnen nichts.
     Ehrenwort!«
    Der Junge stand da wie erstarrt. Der oben auf der Mauer wusste offensichtlich auch noch nicht, ob er dem Fluchtinstinkt nachgeben
     oder der Vernunft den Vortritt lassen sollte.
    »Na los, macht schnell! Eure Pause ist gleich vorbei!«, meinte Rath.
    Da endlich kam Leben in den Jungen.
    »Kalle, nu komm rüber, Mensch!«, herrschte er den Zögernden auf der Mauer an. »Hanke, Zerlett, Froese, ihr auch! Oder sollen
     wir Ärger kriegen!«
    Kurz darauf standen fünf Jungen um Rath herum und machten betretene Gesichter.
    Der Kommissar erzählte ihnen, was gestern hier passiert war.
    »Wissenwa doch! Wir sind doch nicht blöde!«
    »Steht doch inner Zeitung!«, ergänzte Kalle. »Und außerdem hamwa wir ja selbst …«
    Ein Knuff in die Seite brachte ihn zum Schweigen. Der Sommersprossige schien hier das Kommando zu haben.
    »Hört mal zu Jungs: Ich ermittle in einem Mordfall! Dass ihr heimlich raucht, ist für mich nur deshalb interessant, weil ich
     hoffe, dass ihr auch gestern in der großen Pause hier wart.«
    »Und?«, fragte Sommersprosse.
    »Und dann seid ihr eventuell wichtige Zeugen für mich.«
    »Siehst du, Hotte! Hab ich doch gleich gesagt, wir hätten zur Polente laufen sollen«, sagte Kalle zu dem Sommersprossigen.
     »Nu hamwa den Salat!«
    »Ach, halt doch die Klappe«, maulte Hotte.
    »Wenn ihr der Polizei etwas zu sagen habt, ist es heute immer noch früh genug«, sagte Rath.
    Vier Jungen schauten Hotte an. Offensichtlich wollten sie ihm die Entscheidung überlassen. Der druckste noch ein wenig herum.
     Dann gab er sich einen Ruck.
    »Na jut«, sagte er. »Wir waren uffen Friedhof, Herr Kommissar! Auch jestern.«
    »Und ihr habt etwas gesehen …«
    Hotte nickte.

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