Der nasse Fisch
noch, wie der Journalist seine Zimmertür zuknallte, wahrscheinlich hatte er Hut und Mantel
geholt, dann fiel die schwere Wohnungstür ins Schloss.
Rath schenkte sich noch etwas Kaffee nach. Er starrte in seine Tasse. Die Uhr an der Wand tickte laut. Ungeduldig rutschte
er auf dem Stuhl hin und her. Er hatte Wichtigeres zu tun, als hier auf seine frühere Zimmerwirtin zu warten. Eigentlich würde
es ja reichen, das Telefon mitzunehmen. Dann könnte er gleich wieder verschwinden.
Rath ging zu seinem alten Zimmer und rüttelte an der Türklinke. Weinert hatte Recht gehabt: Es war verschlossen.
Wo bewahrte die Behnke ihre Schlüssel auf?
Wahrscheinlich in ihren Privatgemächern.
Er ging zurück in die Küche. Die Tür zu ihren Privaträumen war nur angelehnt, das hatte er vorhin schon gesehen.
In ihrer Wohnung fühlte er sich noch unbehaglicher als in der Küche. Wenn sie ihn hier erwischte, geriete er wirklich in Erklärungsnot.
Aufmerksam lauschte er auf jedes Geräusch, während er den Salon suchte, vor allem auf das Drehen von Schlüsseln inschweren Türen. Zunächst landete er im Schlafzimmer, doch dann fand er den Raum.
Erst ein einziges Mal war Rath in ihren Wohnräumen gewesen. Vor sechs Wochen ungefähr, als er den Mietvertrag unterschrieben
hatte. Damals hatte sie ihn gleich in diesen seltsamen Salon geführt, auf der einen Seite ein ganz normales plüschiges Wohnzimmer,
wie es zu Kaisers Zeiten modern gewesen war, auf der anderen aber eine Art martialischer Schrein, der eine ganze Wand beherrschte,
im Zentrum ein großes Ölbild, das Helmut Behnke in der Uniform eines preußischen Unteroffiziers zeigte, darunter ein Säbel
mit schwarz-weißen Troddeln, den man der Witwe überreicht hatte, und überall Fotos, die Helmut Behnke im Krieg zeigten. An
dieser Wand des Gedenkens stand der Sekretär, aus dem sie damals die Zimmerschlüssel geholt hatte.
Rath starrte auf diese morbide Wand des Gedenkens. Anstatt in den Schubladen nach Elisabeth Behnkes Schlüsselbund zu suchen,
schaute er sich die Fotos an. Sein Blick war an einem Bild hängengeblieben, das ihm bekannt vorkam. Er hatte es schon einmal
gesehen, in einem Büro in Friedenau, es zeigte die frischgebackenen Unteroffiziere Helmut Behnke und Bruno Wolter. Bruno Wolter,
der alte Kamerad von Helmut Behnke, schlank und mit stolzem Blick schaute er in die Kamera. Das Bild musste bei Raths erstem
Besuch in diesen Räumen schon hier gehangen haben. Da war es ihm nur noch nicht aufgefallen, da hatte er diesen Altar für
einen gefallenen Soldaten geflissentlich ignoriert. Hatte kaum hingeschaut, obwohl es seine Blicke immer wieder angezogen
hatte, weil er seiner neuen Vermieterin nicht zeigen wollte, wie sehr ihn diese morbide Wand irritierte.
Wolter war auf weiteren Fotografien zu finden, immer einträchtig neben Helmut Behnke. Die beiden schienen wirklich unzertrennlich
gewesen zu sein. Bis eine französische Granate dem jungen Unteroffizier Behnke im Artilleriefeuer bei Soissons beide Beine
wegriss und er wenige Tage später den Folgen seiner schweren Verletzung erlag. Höllenschlacht an der Aisne sollte ein Militärfilm das Gemetzel später nennen.
Rath wollte sich losreißen von den Bildern, sie zogen ihn zurück in die Vergangenheit und in den Krieg, erinnerten ihn daran,
wie anders sein Leben hätte verlaufen können, wäre er nur ein paar Jahre früher geboren worden. Wie Anno …
Dann entdeckte er ein Gesicht, das einen Blitz des Erkennens durch sein Gehirn zucken ließ. Ein Gesicht, das er in dieser
Bildergalerie nicht erwartet hätte und das ihn mit einem Schlag hellwach machte.
Konnte das sein?
Fünf Männer an einem Artilleriegeschütz, sie wirkten müde, aber alle schauten sie stolz und zuversichtlich drein. Ein Hauptmann
und vier Gefreite, ein Foto, wie sie damals zu Tausenden entstanden waren.
Vorn auf der Deichsel saß, herrisch die Linke auf einen Stock gestützt, der Hauptmann. Alfred Seegers. Links am Wagenrad lehnte
der Gefreite Rudolf Scheer, direkt hinter dem Hauptmann standen die Gefreiten Behnke und Wolter.
Und rechts neben Wolter stand ein Soldat, dessen Schnauzbart Rath an ein Fahndungsfoto erinnerte. Der Mann war ein paar Jährchen
jünger und sein Schnauz wilhelminisch nach oben gezwirbelt, aber er war es, ohne jeden Zweifel: Josef Wilczek!
Der heilige Josef!
Der Mann von der Berolina gehörte zu den alten Kameraden von Bruno Wolter!
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F reitagabend. Und im
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