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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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einen Grund suchte, auf die Straße zu gehen an seinem
     freien Tag.
    Das Haus direkt neben der Milchwirtschaft war das richtige. Über die Hochbahn am Wassertorplatz ratterte ein Zug, als Rath
     in den Hauseingang trat. Er suchte die Briefkästen ab, auch die in den Hinterhäusern, doch er konnte den Namen Kardakow nirgends
     finden, nicht einmal einen, der auch nur annähernd russisch klang. Er schaute auf seinen Zettel. Die Anschrift stimmte. Die
     Hausnummer auch.
    Rath überprüfte die Briefkästen der beiden Nachbarhäuser, doch auch hier: kein Russe. Sollte der Mann untergetaucht sein,
     um seine Miete nicht bezahlen zu müssen? Vielleicht hatte er das Namensschild einfach noch nicht ausgetauscht. Rath ging zurück
     zum ersten Haus. Die Haustür öffnete sich, als er sie gerade erreicht hatte. Er schaute in ein ebenso überraschtes wie misstrauisches
     Gesicht.
    »Suchen Sie irjendwen?« Der Mann war klein und schmächtig. Sein Hut wirkte auf dem hageren Gesicht viel zu groß. Ebenso der
     gewaltige Schnauzbart. An seinem Revers steckte ein kleiner Stahlhelm.
    »Kann man wohl sagen.« Rath zückte den Zettel und las vor. »Alexej Iwanowitsch Kardakow.«
    »Nie jehört. Soll der hier wohnen?«
    »Er hat zumindest diese Adresse hinterlassen.«
    »Det muss bei einem Russen ja nix heißen.«
    »Aber Sie wohnen in diesem Haus?«
    »Det muss ick Ihnen ja wohl nich sagen.«
    »Vielleicht doch: Kriminalpolizei!« Rath wedelte mit seinem Dienstausweis. Er hatte beschlossen, auch an seinem freien Tag
     die Autorität des Amtes zu nutzen.
    »Schon jut, schon jut!« Der Mann hob beschwichtigend die Hände. »Was wollen Sie denn wissen?«
    »Ist Ihnen in den vergangenen Wochen etwas aufgefallen? Ist jemand Neues hier eingezogen?«
    »Nicht dass ick wüsste.«
    »Vielleicht unter einem anderen Namen.«
    »Nee, beim besten Willen nicht. Wat soller denn ausjefressen haben?«
    »Reine Routinebefragung.« Rath bedauerte es inzwischen, seine Dienstmarke gezeigt zu haben. Genau genommen war das illegal.
     Er musste diesen penetranten Zeitgenossen, der ihm offensichtlich nicht weiterhelfen konnte, loswerden, bevor der noch neugieriger
     wurde. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
    »Keene Ursache. Immer zu Diensten.«
    Rath hatte sich bereits umgedreht, da rief ihm der Fremde hinterher.
    »Einen Moment, Wachtmeister!«
    Rath blieb stehen.
    »Vielleicht sind Sie ja wejen dem Radau hier.«
    »Wegen des Radaus?«
    »Na, mitten in der Nacht hat hier einer vor die Türen jebollertwie so’n Bekloppter, dass keen Mensch nich schlafen konnte. Und danach haben sich zwei jestritten. Aber in einer Lautstärke,
     sag ick Ihnen! Ick dachte schon, die bringen sich jejenseitig um!«
    »Und?«
    »Na, det waren Russen. Hundertprozentig. Vielleicht war ja der dabei, den Sie suchen. Aber wohnen tut der hier nich. Bestimmt
     nich. Hier wohnen nur anständje Leute.«
    Rath tippte an seinen Hut.
    »Vielen Dank.«
    Seltsam, dachte er, während er über die Skalitzer Straße zurück zum Kottbusser Tor ging. Er schien nicht der Einzige zu sein,
     dessen Schlaf in der vergangenen Nacht von einem Russen gestört worden war.

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    4
    D er neue Monat fing gut an. Rath saß an seinem Schreibtisch, in der einen Hand eine Tasse Kaffee, in der anderen eine brennende
     Zigarette. Vor ihm lagen die Fotos. Wilhelm zwo war auf den Abzügen als Einziger noch mit einem Fragezeichen markiert. Ein
     kleines Geheimnis, das er mit Wolter teilte. Ansonsten hatten sie alle, die hier abgelichtet waren, identifiziert, auch die
     Darsteller, die ihnen bei der Razzia nicht ins Netz gegangen waren. Nachdem er den Alten Fritz im Vernehmungsraum weichgekocht
     hatte, hatte Rath dem Onkel die Liste mit den Namen gestern auf den Tisch gelegt. Wolter hatte ein zufriedenes Gesicht gemacht.
     Der erste Durchbruch in ihren Ermittlungen.
    Zum ersten Mal, seit er in Berlin war, fühlte Rath sich wieder halbwegs im Reinen mit sich und der Welt. Sein Blick wanderte
     aus dem Fenster über die Stadtbahngleise auf die dunkle Mauer des Gerichtsgebäudes. Ein Zug ratterte vorbei.
    Der freie Tag hatte ihm gutgetan, auch wenn er ihn mit sinnlosen Nachforschungen verplempert hatte. Wenigstens hatte er Elisabeth Behnke aus dem Weg gehen können. Sie hatte ihm ein
     Essen zubereitet, als er ihr am Abend von seinen ergebnislosen Recherchen berichtet hatte, und eine Flasche Wein geöffnet.
     Diesmal hatte er nicht zu viel getrunken und ihr einen Gutenachtkuss auf die Wange gedrückt, der alles

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