Der nasse Fisch
Langsam hatte sich im Sperrgebiet herumgesprochen, was hier
geschah.
Einen einzigen Trommelrevolver hatten sie in ihrem Einsatzgebiet bislang beschlagnahmt – nach fast sechs Stunden Wühlen in
mindestens vier Dutzend Wohnungen. Und der Mann, dem sie die Waffe abgenommen hatten, war nicht mal ein Kommunist!Zwar hing in seiner Küche der gestickte Text der Internationale an der Wand wie bei anderen Leuten ein frommer Bibelspruch,
doch der Arbeiter war Sozi. Ein Sozialdemokrat wie der Polizeipräsident. Rath ging die Aktion zunehmend auf den Wecker, und
wenn er Bruno so anschaute, hatte er den Eindruck, dass es dem nicht anders erging. Das hier brachte überhaupt nichts! Eine
Vergeudung von Kapazitäten!
Dabei hatten sie heute Morgen noch grinsen müssen, als sie sahen, dass auch die Leykestraße auf ihrer Liste stand. Dort wohnte
Franz Krajewski, der Kokser vom Karstadtgerüst, ihr neuer Informant. Und der Pornokaiser hatte tatsächlich die Tür geöffnet,
als sie um kurz nach sieben bei ihm geklingelt hatten. Sie konnten es Krajewski ansehen, dass ihm das Herz bis in die grauen
Unterhosen rutschte, als ein ganzer Haufen Uniformierter an ihm vorbei in seine Wohnung stiefelte. Mit großen Augen hatte
er Rath und Wolter angestarrt. Sie hatten ihn einen Moment zappeln lassen. Dann hatte der Onkel den Mann förmlich gesiezt
und den Standardspruch runtergeleiert: dass es sich bei dieser Polizeiaktion um eine Routinedurchsuchung nach Waffen handele,
die im ganzen Viertel durchgeführt werde. Daraufhin wirkte Krajewski etwas entspannter. Eine gewisse Nervosität jedoch blieb,
und Rath wusste auch warum, nachdem er aus der Zuckerdose in der Küche geistesgegenwärtig einen Beutel Kokain gefischt hatte,
bevor die Schupos auf die Idee kamen, dort nach Revolvern und Granaten zu suchen.
»Da siehst du mal, wie froh du sein kannst, dass du uns vor ein paar Tagen getroffen hast«, raunte er dem Mann zu, der heute
keine große Ähnlichkeit mit Wilhelm zwo aufwies. »Sonst hätten wir jetzt eine Knarre bei dir gefunden und müssten dich mitnehmen.«
»Wat soll denn der Zinnober überhaupt?«, fragte Krajewski.
»Du wohnst in der falschen Gegend. Zu viele Kommunisten. Da sollte man aufpassen, was man in der Küche versteckt.«
Krajewski erbleichte. Dann wurde es Zeit für den Abschied. Die Schupos waren längst eine Etage höher, da blieb Rath noch einenMoment bei Krajewski stehen, dem der Schweiß auf der Stirn stand, und drückte ihm das Papiertütchen in die Hand. »Wünsche
gut zu frühstücken!«
Kurz nach zwölf. Mittlerweile hatten sie sich drei Blocks weiter vorgearbeitet. Haus für Haus, Wohnung für Wohnung. Und die
Einsatzliste war noch lange nicht durch.
»Mir reicht’s«, sagte Wolter leise zu Rath, als sie gerade wieder ein Haus verlassen hatten, wo sie in jeder Wohnung in böse
Gesichter gesehen und den wütenden Protest der Mieter hatten ertragen müssen – ohne eine einzige Waffe zu finden.
»Drecksarbeit«, meinte der Onkel und steckte sich eine Zigarette an, während die Schupos begannen, sich über die Müllbehälter
im Hof herzumachen.
Rath nickte. »Und finden tun wir auch nichts.«
»Na, wunderst du dich? Die Kämpfer sind doch ohnehin alle auf der Straße. Und ihre Waffen lagern die Thälmanns irgendwo in
geheimen Verstecken. Da müsste die IA mal etwas mehr auf Zack sein. Waffenlager sollten wir ausräumen, stattdessen durchsuchen
wir Proletenwohnungen.« Wolter machte keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen die Politische Polizei. Er nahm einen letzten
Zug und warf die halbgerauchte Zigarette auf den Hof. »Das ist doch keine Arbeit für die Kripo. Das hier können die Blauen
eine Zeit lang auch alleine«, sagte er und stiefelte zu den Mülltonnen hinüber, wo ein junger Polizist mit einem großen Schürhaken
in Asche und Abfällen wühlte. Der Onkel gab ihm ein paar Anweisungen und drückte ihm die Adressenliste in die Hand. Dann kehrte
er zu Rath zurück.
»Wir gehen jetzt erst mal in die Hermannstraße, liefern den Revolver ab und erstatten Zwischenbericht«, meinte Wolter. »Da
gibt es auch einen Versorgungsposten für die Einsatzkräfte, gute alte Feldküche. Mir knurrt vielleicht der Magen!«
Im Haus Hermannstraße 207 hatte die Polizei in zwei beschlagnahmten Privatwohnungen in der ersten Etage einen Stützpunkt für
den Großeinsatz eingerichtet. Rath und Wolter machten sich auf den Weg.
»Wer weiß, vielleicht erwischen wir unterwegs
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