Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
sogar einen Plünderer oder Barrikadenbauer«, sagte Wolter, als sie aus der Toreinfahrt
     auf den Gehweg traten. »Dann haben wir wenigstens etwas Sinnvolles getan heute.«
    Außer den beiden Polizisten war kein Mensch auf der Straße, sie sahen zwei, drei zerbrochene Schaufensterscheiben, aber keine
     Plünderer. Erst in der Hermannstraße trafen sie auf ein paar Leute. Keine, die man hätte festnehmen müssen. Sämtliche Gaslaternen
     waren mit Steinen kaputt geworfen worden, ihr Glas knirschte auf dem Pflaster. An einigen Stellen waren die Holzstapel für
     den U-Bahn-Bau umgeworfen und über die Fahrbahn verteilt worden. Als Barrikaden konnte man das nicht gerade bezeichnen. Das
     waren höchstens kleine Verkehrshindernisse. Allerdings war kein einziges Auto unterwegs. Auch die Elektrische fuhr heute nicht
     über die Hermannstraße. Die Schupo hatte das Unruhegebiet hermetisch abgeriegelt. Hier kam keiner rein und keiner raus, wenn
     die Polizei das nicht wollte. Und die BVG schickte ihre Busse und Bahnen derzeit sowieso nicht in die Kommunistenviertel,
     nachdem junge Randalierer mehrere Straßenbahnen gestoppt und die Waggons demoliert hatten.
    Rath und Wolter waren die Hermannstraße erst wenige Schritte hinuntergegangen, als Schüsse fielen. Schnell suchten sie Deckung
     in einem Hauseingang. Kommunistische Heckenschützen? Die waren doch den ganzen Morgen ruhig geblieben. Der Onkel zog seine
     Pistole, Rath tat es ihm gleich und entsicherte die Mauser. Den Zwischenfall auf dem Karstadtgerüst hatte er sich zu Herzen
     genommen. Vorsichtig steckte er seinen Kopf aus dem Hauseingang. Das waren keine Kommunisten, die da geschossen hatten! Ein
     Panzerwagen rollte die Hermannstraße hoch, sein Maschinengewehr ratterte in unregelmäßigen Abständen und spuckte Blei und
     Feuergarben.
    »Diese Idioten!«
    Rath zog den Kopf wieder zurück und drückte sich eng in den Hauseingang. Schöne Scheiße! Wie im Krieg! Von den eigenen Leuten
     unter Feuer genommen!
    »Das sind unsere«, sagte er zu Wolter. Sie steckten ihre Waffen wieder ein. Mit einer Pistole im Hauseingang zu stehen war
     für Männer in Zivil gefährlich, man konnte zu leicht verwechselt werden. Von der Straße hörten sie eine laute Stimme. Eine
     Flüstertüte.
    »Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei«, rief die Stimme im Kasernenhofton. »Räumen Sie die Straße! Fenster frei! Es
     wird geschossen!«
    Tatsächlich, dachte Rath, es wird geschossen? Das kündigen die aber früh an. Er spähte noch einmal um die Ecke. Der Panzerwagen
     rollte weiter. Die wenigen Leute, die sich noch auf der Straße befanden, flüchteten rechts und links in die Hauseingänge.
     Hinter dem Panzerwagen fuhren zwei Lastwagen mit Bereitschaftspolizisten. Die Männer waren abgesprungen und machten ihre Karabiner
     schussbereit. Rath konnte die Nervosität der jungen Männer spüren. Mit ängstlichen Blicken suchten sie die Fenster nach Heckenschützen
     ab, die Gewehre im Anschlag. Eine kurze Weile blieb es ruhig, das Maschinengewehr des Sonderwagens schwieg. Dann ein knatternder
     Schuss aus einem Karabiner. Eine Fensterscheibe klirrte auf das Pflaster.
    »Fenster frei!«, rief es noch einmal aus dem Megaphon, doch die Stimme ging unter im Knattern der Karabiner. Der erste Schuss
     hatte den Damm gebrochen.
    Ein Mann lief geduckt über den Gehweg, die Hände über dem Kopf, als könne ihn das vor den Kugeln und dem herabfallenden Glas
     schützen. Er kam zu ihnen in den Hauseingang, zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloss die schwere Haustür auf.
    »Na los«, sagte er und hielt die Tür auf. »Kommt rein, bevor die Bullen euch abknallen.« Sie zögerten keinen Moment und stürzten
     ins Haus. Der Mann kümmerte sich nicht mehr um sie und lief die Treppe hoch. Rath schlug die Haustür zu und blickte ihm nach.
    »So eine Scheiße! Die räumen die Straße! Sonderwageneinsatz! Warum sagt uns denn niemand Bescheid, dass so eine Aktion läuft?«
    »Keine Ahnung«, entgegnete Wolter. »Wahrscheinlich, weil das Ganze von Sozis geplant ist.«
    Weitere Schüsse kamen von der Straße. Kugeln pfiffen ganz in der Nähe. Rath deutete mit dem Kopf nach hinten. Sie zogen sich
     weit nach hinten in das Treppenhaus zurück. Hier waren sie sicherer vor verirrten Kugeln und Querschlägern. Man konnte nie
     wissen.
    Plötzlich hörten sie einen Schrei.
    »Nein!«
    Kein Schmerzensschrei, kein Angstschrei. Ein Schrei des Entsetzens.
    Die Polizisten schauten sich kurz an, dann

Weitere Kostenlose Bücher