Der nasse Fisch
kurzen Mantel und einen
roten Rock. Er winkte und hätte vor Freude beinahe den nächsten Passanten umarmt, als er bemerkte, wie sie lächelte, als sie
ihn entdeckte.
Der Abend würde für ihn nicht billig werden, das stand fest. Sie hatte einen gewaltigen Hunger, als sie den Europa-Pavillon anseinem Arm betrat und der Kellner sie an ihren Tisch führte. Anderthalb Stunden hatte der Film gedauert, und sie hatte am
Ende gehofft, ihr Magen möge nicht während der Vorstellung knurren. Glücklicherweise hatte das Orchester ziemlich laut gespielt.
Er hatte kein einziges Mal versucht, die Dunkelheit auszunutzen und sie in den Arm zu nehmen oder zu küssen. Einer von der
Sorte war er schon mal nicht. Dann hätte sie auf das Abendessen verzichtet, ganz gleich, wie hungrig sie war. So stand einem
schönen Abend also nichts mehr im Wege.
Auch der Europa-Pavillon gefiel ihr. Restaurant und Tanzraum gingen über zwei Etagen, Goldorange war die dominierende Farbe, durchsetzt von silbernen
Ornamenten, die Möbel aus Mahagoni. Der Kellner führte sie die Treppe hinauf auf die Empore. Sie trug das rote Kostüm, das
sie bislang immer nur zur Arbeit angezogen hatte. Er sollte nicht denken, sie mache sich für ihn zurecht. Dennoch hatte Greta
sie dabei ertappt, als sie sich sorgfältig schminkte und vor dem Spiegel prüfte, wie der Rock ihre langen Beine zur Geltung
brächte. Die Freundin hatte nichts gesagt, doch ein Paar hochgezogene Augenbrauen hatten deutlich zu verstehen gegeben, dass
sie Greta eine Erklärung würde nachliefern müssen.
Der Kellner wies ihnen einen Tisch direkt an der Brüstung zu. Sie konnten von oben auf die Tanzfläche blicken, auf der sich
schon einige Paare drehten. Die Musik gefiel ihr, ein flotter Swing, nur der Sänger, der ab und zu seine Stimme hören ließ,
klang ihr zu schmalzig. Der Kellner kam mit zwei Speisekarten und zwei Gläsern Heidsieck Monopol an ihren Tisch zurück.
»Ich habe mir erlaubt, schon etwas zu bestellen«, sagte Rath und hob sein Glas. Deswegen also hatte er vorhin mit dem Kellner
getuschelt.
Sie lächelte nervös, als sie mit ihm anstieß. Seine graublau schimmernden Augen hatte sie von Anfang an gemocht, schon als
er ihr das erste Mal in der Burg über den Weg gelaufen war. Während sie trank, musterte sie ihn. Eine elegante Erscheinung.
Obwohl er einen braunen Anzug trug, den er auch im Dienst hätte tragen können – und wahrscheinlich schon getragen hatte. Wiesie ihr rotes Kostüm. Sie hätten gleich zusammen losziehen und ermitteln können. Stattdessen blätterten sie in der Karte.
Der Kellner kam mit dem Wein und nahm die Bestellung auf. Sie entschieden sich für Fisch.
»Ich habe Sie angelogen«, sagte sie, als der Mann im Frack wieder abgedreht hatte, »meine Geschichte ist gar nicht so lang,
wie ich behauptet habe. Mir ging es nur um das Abendessen.«
»Da können Sie aber beten, dass ich das Betrugsdezernat nicht einschalte.«
»Bloß das nicht!« Sie hob die Hände in gespieltem Entsetzen. »Ich erzähle Ihnen ja alles, Herr Kommissar. Nur ist alles leider ziemlich wenig.« Sie trank einen Schluck Wein. »Also: Geboren und aufgewachsen in Berlin. Moabit, um genau zu sein,
ganz in der Nähe des Kriminalgerichts. So etwas prägt: Seit vier Jahren arbeite ich bei der Kriminalpolizei. Als Stenotypistin.
Aber das möchte ich nicht den Rest meines Lebens machen.«
»Was denn dann?«
»Ich studiere. Jura.«
Er pfiff anerkennend durch die Zähne. »Wollen Sie in den Höheren Dienst?«
Sie zuckte die Achseln. »Mal sehen. Ich finde schon, dass es zu wenig Kriminalbeamtinnen gibt.«
»Und wie verbinden Sie das miteinander?«, fragte er. »Ich meine, die Arbeit und das Studium.«
»Der Mordinspektion gehöre ich nur Donnerstag bis Sonntag, so haben wir es vereinbart. Dafür meckere ich auch nicht, wenn
es abends mal später wird oder ich mit raus muss.«
»Die meisten Morde passieren am Wochenende.«
»Wem sagen Sie das.«
»Und Sie schieben jedes Wochenende Dienst?«
»Die meisten. Die anderen sind froh, wenn sie um die Wochenenddienste drum herumkommen.«
»Dann haben Sie nicht viel Freizeit.«
»Im Moment nicht. Meine Freizeitaktivitäten verschiebe ich auf die Abendstunden.«
»Solange die Inspektion A nicht ruft.«
»So ist es.«
Er hob sein Glas. »Lassen Sie uns darauf trinken, dass Böhm wenigstens heute Ihre Rufnummer verlegt hat.«
Sie stießen noch einmal an. Der Kellner kam mit dem Essen, und sie
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