Der Nautilus-Plan
vernachlässigen. Der Ölpreis ist seit jeher unbeständig. Die fossilen Brennstoffe werden nicht ewig zur Verfügung stehen. Wir müssen uns langfristig über stabile, zuverlässige und umweltfreundliche Energiequellen Gedanken machen … und nicht nur für Personen- und Lastwagen und Schiffe. Elektrizität ist das Lebenselixier der Industrie.« Helios – Nicholas Inglethorpe – war das jüngste und ungestümste Mitglied der Schlange.
Okeanos – Christian Menchen – räusperte sich, scheinbar ganz in die Betrachtung seiner Zigarre versunken. »Der Abbau der fossilen Brennstoffe wird genauso krass übertrieben wie ihre schädliche Wirkung auf Gesundheit und Umwelt. Ich für meine Person gehe davon aus, dass Verbrennungsmotoren und konventionelle Wärmekraftwerke auch noch meine Urenkel überdauern werden.«
Mit seinem dichten schwarzen Haar, den vorstehenden Backenknochen, der preußischen Nase und der aufrechten Haltung sah Menchen aus wie ein Relikt aus einem vergangenen Jahrhundert. Alle wussten, dass sein Konzern, Eisner-Moulton, in einer tiefen Krise steckte, deren Überwindung einige Mühe kosten würde. Selbst Wunderkinder gerieten manchmal ins Straucheln. Das riesige Automobil-Imperium, das Christian Menchen aufgebaut hatte, stand allerdings bestens da. Deshalb zweifelte niemand der Anwesenden daran, dass er sich als der scharfsinnige und kühle Rechner, der er war, mit Bravour aus der Affäre ziehen würde.
Gilmartin schlug mit finsterem Gesicht die Beine übereinander und lehnte sich zurück. »Sie bauen Sportwagen und Schulbusse, Christian. Mal abgesehen davon, was man in den langweiligen Artikeln im hinteren Teil Ihrer Motor-Zeitschriften lesen kann, haben Sie doch keine Ahnung von Energie. Sie sträuben sich nur gegen die Vorstellung, vom Konzept des Verbrennungsmotors abrücken zu müssen.«
Menchen versteifte sich. »Sie denken nur an Ihre eigenen Interessen, Greg. Aber das ist gegen die Prinzipien der Schlange. Wenn etwas auf lange Sicht nicht gut für die Welt ist, dann ist es auch für Sie oder Ihre Leute nicht gut.«
»Ich glaube, das reicht, Gentlemen.« Sir Anthony sprach mit solcher Schärfe, dass alle sich ihm überrascht zuwandten.
Der Gründung der Schlange lag eine gemeinsame Vision zugrunde – sechs Männer an den Schalthebeln der Macht sollten sich ihren Einfluss und ihren Reichtum zunutze machen, die Welt zu Frieden und Wohlstand zu führen. Sie propagierten einen menschlichen Kapitalismus. Eine verantwortungsbewusste Industrie. Einen umfassenden und weitreichenden Blick auf Geschichte und Zukunft, der sich über Engstirnigkeit und Eigeninteresse erhob. Politiker kamen und gingen; sie waren nichts weiter als flüchtige Schatten auf dem Antlitz der Zivilisation. Aber die Besten in Wirtschaft und Bankwesen hatten Bestand.
Die richtigen sechs Männer konnten anhaltende Veränderungen einleiten, die der Welt zugute kämen, und dabei gleichzeitig ihren privaten Besitz vergrößern. Dieser Grundgedanke unterschied sie von der Nautilus-Gruppe, der sie alle angehörten und in der sich die Gründungsmitglieder der Schlange kennen gelernt hatten, bevor sie Ende der 50er-Jahre ihren Geheimbund ins Leben riefen. Sie hatten die dringende Notwendigkeit erkannt, mehr für die Allgemeinheit zu tun als Nautilus, der größtenteils weiterhin reinem Profitdenken unterworfen war, während er zu den brennenden Problemen der Menschheit nur Lippenbekenntnisse ablegte.
Diskussionen waren in der Schlange gestattet, sogar erwünscht. Persönliche Konflikte nicht. Und Brookshire hatte dieses Treffen in einer ganz bestimmten Absicht einberufen.
Sein Ton war ernst, als er begann: »Meine Herren, es ist, glaube ich, Zeit, über die Ermordung unseres geschätzten Kollegen, Baron Claude de Darmond, und über unsere Suche nach den Aufzeichnungen des Carnivore zu sprechen.« Er rekapitulierte die bisherigen Ereignisse – die Morde, das Verschwinden von Liz Sansborough und Simon Childs, die Entführung von Sarah Walker und Asher Flores und die bislang fruchtlose Suche nach den Aufzeichnungen des Auftragskillers.
»Duchesne hat Sansborough in dem Lagerhaus in Belleville nur ganz knapp verfehlt«, berichtete er. »Jetzt lässt er sein Netzwerk nach ihr suchen. Simon Childs hat sich auf ihre Seite geschlagen. Unser weiteres Vorgehen beruht nach wie vor auf der Annahme, dass sie uns am ehesten zu den Aufzeichnungen ihres Vaters führen kann.«
Die Männer am Tisch schüttelten den Kopf, und eine gewisse
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