Der Nautilus-Plan
auch klar, dass das Leben weitergehen muss. Daraufhin habe ich mich bei Sarah entschuldigt. Wir waren ihr wegen dem, was sie mit Bremner durchgemacht hatte, und auch wegen meiner Wut auf sie einiges schuldig.« Sie runzelte die Stirn und sprach nicht weiter.
»Irgendetwas daran belastet dich immer noch.«
»Mein Mann. Auch er … auch er war gewalttätig.« Sie zögerte. »Wenn es ihm aus irgendeinem Grund schlecht ging, schlug er mich immer. Mir wurde erst viel später klar, dass das absolut nichts mit dem zu tun hatte, was ich sagte oder tat. Er hätte immer irgendeinen neuen Vorwand gefunden, mich schlagen zu können.«
Simons Hand schloss sich fester um sein Glas. »Du hast dich von ihm schlagen lassen?« Und dann begriff er, dass das der Punkt war, auf den die Geschichte mit ihrem Vater hinauslief.
»Der Sachverhalt ist etwas komplizierter. Ich weiß … wer hätte gedacht, dass ich von meinem Mann geschlagen werden könnte? Die selbstbewusste Liz mit ihrem Karatetraining. Die taffe CIA-Liz. Trotzdem zeigte ich ihn nicht an, und trotzdem wehrte ich mich nicht. Ich frage mich, ob es vielleicht an dem familiären Umfeld lag, in dem ich als Kind aufwuchs. Lag bei uns zu Hause vielleicht ständig etwas in der Luft, was mich in die Lage versetzte, mit seiner Gewalttätigkeit zu leben? Kinder spüren bestimmte Dinge oft sehr deutlich, auch wenn ihnen die Worte fehlen, um das Unausgesprochene zum Ausdruck zu bringen. Oft ist es der riesige bedrohliche Gorilla, der das – in Anführungsstrichen – traute Heim überschattet und den niemand zur Kenntnis nimmt. Seltsamerweise wusste ich, dass ich mich von niemandem sonst so behandeln lassen würde. Und dann starb er, wie du weißt. Deshalb bekam ich nicht mehr die Gelegenheit, selbst die Initiative zu ergreifen und ihn zu verlassen.«
»Hast du das mal jemandem erzählt?«
»In Langley haben es vielleicht ein paar Leute geahnt.« Sie sah ihn an. »Während ich an meiner Dissertation schrieb, habe ich eine Therapie gemacht. Das hat mir geholfen. Ich kann dir alles prima analysieren, Fachjargon inklusive, aber wen interessiert das schon? Im Grunde habe ich einfach zugelassen, dass ich sein Opfer war. Wobei ich übrigens nicht glaube, dass ich ›ihn zu sehr geliebt habe‹. Irgendwann habe ich aufgehört, ihn zu lieben, aber ich war zu blöd und zu liebesbedürftig, um entsprechend zu reagieren.«
»Und das belastet dich immer noch.«
»Offensichtlich. Sonst hätte ich es dir nicht gerade erzählt.« Sie lächelte zaghaft.
»Bist du dir jetzt gerade deiner Sterblichkeit bewusst?«
»Und wie! Wer kann schon sagen, was der heutige Tag noch bringen wird.«
»Was kann einem schon Besseres passieren, als die Gelegenheit zu erhalten, alle seine Fehler auf einen Schlag wieder gutzumachen? Wir gehören zusammen. Schon als Junge habe ich dich sehr gemocht. Und jetzt mag ich dich, glaube ich, sogar noch mehr.«
»Danke. Mir geht es genauso.«
»Bist du auch so müde wie ich?« Seine Stimme war leise und vertraut.
»Vielleicht. Wahrscheinlich. Lass uns ein paar Stunden schlafen. Aber dann sollten wir nach Dreftbury aufbrechen und uns über unser weiteres Vorgehen Gedanken machen.«
Er warf einen kurzen Blick auf den Flur hinaus und schloss die Tür ab. Als er ein frisches Scheit auf das flackernde Feuer legte, wurde ihr verstärkt bewusst, welche Geborgenheit ihr dieser Raum und Henrys Haus vermittelten. Sie trafen sich am Sofa. Sie setzte sich, und er setzte sich wieder neben sie. Ganz nah. Zögernd ergriff er ihre Hand. Sie ließ ihn gewähren und umschloss dann seine Hand mit ihren Händen. Seine Haut war warm und trocken, die Muskeln und Sehnen kräftig. Unter dem heimeligen Knacken und Knistern des Feuers ließen sie sich dann, immer noch ihre Hände haltend, zurücksinken und fielen rasch in unruhigen Schlaf.
Henry Percy fand es nicht gut, dass die jüngeren Hausangestellten das Feuer in seinem neuen Schlafzimmer die ganze Nacht in Gang hielten. Allerdings waren hier oben im Norden die Julinächte oft unangenehm kalt, und in seinem fortgeschrittenen Alter konnte die Kälte rasch zu gesundheitlichen Schäden führen. Er hatte nicht vor, jetzt schon zu sterben. Das Problem war, dass er wegen der Wärme beim Lesen häufig in seinem Rollstuhl einschlief.
Wegen der Schmerzen in seiner Schulter reckte er sich ächzend. Was hatte ihn geweckt? Er erinnerte sich, von seinem Motorrad geträumt zu haben, von der alten Militärmaschine, die er fast sechzig Jahre zuvor
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