Der Nautilus-Plan
Engländerin, nicht? Willkommen in meinem Lokal.«
Er ließ sie nicht aus den Augen, als er den Wein in ein einfaches Glas goss.
Neugierig erwiderte sie seinen Blick. »Ich bin halb Engländerin, halb Amerikanerin. Zur Zeit lebe ich in Kalifornien.« Sie griff nach ihrem Glas, lehnte sich an die Bar und ließ den Blick durch den Gastraum wandern. Es fiel ihr schwer, ihre Aufregung im Zaum zu halten. Seit Dreftbury wollte sie jedes Mal, wenn sie sich einer Tür näherte, eine Straße hinunterging oder jemand Neuen kennen lernte, den Betreffenden schütteln und ihn fragen: Kennen Sie meinen Vater? Haben Sie ihn gesehen?
»Sie kommen von weither«, sagte der Wirt.
Während Cappuccios Lokal von außen fast wie eine Ruine aussah, wirkte es innen sehr gediegen, voll mit kostbaren Antiquitäten, teuren stoffbezogenen Stühlen, edlen Tischen und alten Fotografien in schweren Rahmen. Aus der Kleidung der Abgelichteten ging hervor, dass sie vor langer Zeit aufgenommen worden waren. Daneben war ein besinnliches Fresko von Engeln mit Harfen und Flöten, das wesentlich älter war als die, Fotos.
Liz nahm ihr Glas und ging zu dem Wandbild. »Gaspare Vazzano?«
» Sì. Sie kennen Vazzanos Arbeiten?« Der Wirt kam hinter der Bar hervor und folgte ihr.
»Ich weiß, er hat in der Gegend hier zahlreiche Fresken gemalt. Allerdings dachte ich, sie befänden sich hauptsächlich in Kirchen. Ihr Haus muss schon im sechzehnten Jahrhundert gebaut worden sein.« Vazzano war Mitte des 16. Jahrhunderts in Gangi geboren worden, wo sie bereits einige seiner Werke gesehen hatte.
»Wann genau, weiß niemand sicher, doch vermutlich haben Sie Recht. Aber was sind hier schon ein paar Jahre mehr oder weniger.« Er schnippte mit den Fingern. »Da. Das war mein Leben.« Er schnippte wieder. »Und das Ihres. Bei uns gibt es ein Sprichwort, dass das Leben kein Geschenk ist, sondern eine Überraschung, und der Tod ist nie eine Überraschung, aber oft ein Geschenk. Das ist eine harte Gegend. Ein hartes Land mit harten Regeln und noch härteren Gebräuchen. Sie wissen, wie ich heiße, Signorina. Darf ich vielleicht auch Ihren Namen erfahren? Come si chiama? «
»Elizabeth Sansborough.« Sie nahm einen Schluck Wein. Er hatte eine herbe Note, den Geschmack guter einheimischer Trauben, aber er war nicht lange genug gelagert. »Ich suche meinen Vater.« Sie holte die Zeichnung aus ihrem Rucksack und reichte sie ihm. Dabei achtete sie genau auf seinen Gesichtsausdruck. »Möglicherweise nennt er sich Bosa oder Firenze. Das sind alte Familiennamen. Vielleicht aber auch Duchesne.«
»Und?« Cappuccio betrachtete die Zeichnung lange, mit ausdrucksloser Miene. Das eckige Gesicht, den kahlen Schädel, die regelmäßigen Züge. Als er den Blick hob, tat er das, um Liz prüfend anzusehen. In seinen Augen spiegelte sich Erkennen. Er versuchte nicht, es zu verbergen.
Liz stockte der Atem. »Sie kennen ihn, nicht wahr? Wo ist er! «
Er zuckte mit den Achseln. Einen Augenblick gelang es ihr, hinter die Maske zu schauen. Er war ein Mann, der Risiken abzuschätzen wusste. Aus welchem Grund auch immer hatte er diesmal entschieden, dass es kein großes war.
»Er war ein Bosa, Don Alessandro Bosa. Ja, so wurde er genannt. Aber einiges in seinem Gesicht ist verändert.« Er tippte auf die Zeichnung. »Er hat den Leopard gelesen.« Sein Blick wanderte in die Ferne. »Ah, ja. ›Kahle Hügel lodern gelb unter der Sonne.‹ Er hat die Stelle zitiert, weil er von Cefalù hier heraufgekommen war, um unseren Sommer zu erleben.«
»Wo ist er jetzt?« Sie sprach emotionslos, aber ihr Herz schlug vor Aufregung und Hoffnung rascher.
Er runzelte die Stirn. »Wissen Sie das denn nicht? Er ist gestorben. Jemand hat seine Villa mit Dynamit in die Luft gejagt, und dabei kam er ums Leben. Das ist schon eine Weile her. Acht Jahre, glaube ich. So etwas spricht sich natürlich herum.«
»Ich habe gehört, er hätte überlebt.«
Er schüttelte den Kopf. »Wie hätte er das überleben sollen?« Er gab ihr die Zeichnung zurück. »Trinken Sie Ihren Wein. Und beruhigen Sie sich erst mal. Wie lange suchen Sie schon nach ihm?«
»Ich habe gehört, dass er vor kurzem wieder aufgetaucht ist.«
»Ich sehe nur mit meinen Augen, höre nur mit meinen Ohren. Ich habe keine Zauberkräfte. Ich habe Ihnen gesagt, was ich weiß.« Damit war sein Interesse an dem Thema erloschen, und er kehrte hinter die Bar zurück.
Liz beobachtete seinen geraden Rücken und die schmalen, drahtigen Schultern. Er
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