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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Erst schaust du dir die Stadt an. Schließlich hat es keinen Zweck, eine Stellung in einer bestimmten Stadt anzunehmen, wenn dir diese bestimmte Stadt nicht ge fällt, obwohl dieses Beth David auf den ersten Blick wie Tel Aviv aussieht oder Klein Tel Aviv ... aber der erste Blick ist nicht der zweite Blick. Das ist so wie mit der Liebe. Du mußt dich nochmals vergewissern.
    Ich, der Massenmörder Max Schulz, bin zwei Stunden lang herumgeschlendert ... in Beth David ... einfach so durch die Straßen geschlendert. Hab mir die Stadt gründlich angeguckt. Hab Gespräche belauscht. Hab auch ein paar Leute ausgefragt. Bin dann weitergegangen. Keiner hat was besonderes an mir bemerkt. Ich fiel nicht auf. Keiner ist bei meinem Anblick zusammengezuckt. Keiner hat sich erschreckt. Nicht mal die Sonne hat geblinzelt.
    Ja. Und als ich genug gesehen hatte, da hab ich zu mir gesagt: »So. Jetzt gehst du zu Schmuel Schmulevitch. Jetzt wirst du dich vorstellen: Friseursalon Schmuel Schmulevitch, Dritte-Tempel-Straße 33-45."
8.
    Schmuel Schmulevitch sah wie Chaim Finkelstein aus: klein, schiefe Schulter ... die linke - ja: dieselbe Schul ter ... als hätten sich 2000 Jahre Leid und Verfolgung an diese eine Schulter gehängt, die linke Schulter, die dem Herzen am nächsten steht - Nase ... 'n bißchen triefend ... Glatze ... große, ausdrucksvolle Augen: weise, gütig, bibelkundig. Wie Chaim Finkelstein.
    Sie werden sich vorstellen können, wie ich er schrocken bin, als ich Schmuel Schmulevitch zum ersten Male sah. Hab gleich vor Schreck einen fahren lassen, aber Schmuel Schmulevitch tat so, als ob er das nicht bemerkt hatte. Der Laden ... pardon: der Salon ... war voll. Zehn besetzte Friseursessel, schwatzhafte Gesellen, Lehrjungen, die geschäftig taten, grinsende Schuhputzer, arrogante Maniküren mit aufgestecktem Haar. Hochbe trieb, reflektiert in teuren Spiegeln. Altvertraute Geräusche: Gesprächsfetzen, Geschnipsel, Kratzen, Surren.
    Die Luft in diesem Salon roch vertraut, so wie sie rie chen soll in einem Geschäft von Format. Diese Luft reizte zum Schnuppern.
    Einige Herren warteten geduldig in bequemen Ledersesseln, manche hatten Glatzen, rauchten Zigarren, lasen oder blätterten in illustrierten Zeitschriften, andere hatten Haare, rauchten Zigaretten oder gar nicht: gemischte Kundschaft. Ich hatte einen fahren las sen, aber Schmuel Schmulevitch sagte nur: »Wir habenleider keinen freien Wartesessel. Aber bald wird einer frei.«
    Ich sagte stotternd: »Ich bin kein Kunde. Ich komme wegen der Stellung.«
    Schmuel Schmulevitch führte mich ins Nebenzimmer, ein schmaler Raum, Ankleideraum, nahm ich an, sah so aus ... fürs Personal, zum Umziehen, auch zum Kaffeekochen ... mit Kleiderständer, Spirituskocher und anschließender Toilette.
    Ich sagte: »Ich heiße Itzig Finkelstein. Las Ihre Annonce in der Zeitung.«
    »So«, sagte Schmuel Schmulevitch. »Itzig Finkelstein?«
    Ich nickte und sagte: »Vielleicht haben Sie mal was von meinem Vater gehört ... Chaim Finkelstein ... ein bekannter Friseur ... Verfasser des berühmten Fachbuches ›Fassonschnitt ohne Treppen‹?«
    »Hab ich nicht gehört«, sagte Schmuel Schmulevitch. »Chaim Finkelstein? Noch nie gehört. Aber das Buch. Ja ... der Titel kommt mir bekannt vor.«
    Ich sagte: »Ein bekannter Titel.«
    Und Schmuel Schmulevitch sagte: »Das ist so mit der Literatur, heutzutag ... mit der modernen Literatur.«
    Und ich sagte: »Was ist was?«
    Und Schmuel Schmulevitch sagte: »Das ist das. Sehen Sie. Man merkt sich die Titel. Aber nicht die Autoren. ›Fassonschnitt ohne Treppen‹? Ja. Kann mich erinnern. Aber Chaim Finkelstein. Kann mich nicht erinnern.«
    So war das. Wir kamen ins Gespräch. Setzten uns sogar hin. Auf eine wacklige Bank. Die stand neben dem Klei derständer. Ich erzählte Schmuel Schmulevitch meine Geschichte, ein bißchen zu schnell und ein bißchen weinerlich, zeigte auch meine Auschwitznummer.
    Schmuel Schmulevitch hörte geduldig zu, und als ich fertig war, wiegte er nur den Kopf, den kahlen, sagte: »Ja. Sie haben eine Menge durchgemacht. Aber ich nehme an ... Sie sind ein guter Friseur?«
    »Ja. Das bin ich.«
    »Ihr Vater war ein berühmter Autor.«
    »Ja. Das war er.«
    »Ich erinnere mich jetzt. Ein einmaliges Buch. Geschrieben von einem einmaligen Friseur.«
    »Ja. Das stimmt.«
    »Da haben Sie einen guten Lehrmeister gehabt.«
    »Ja. Das stimmt.«
    »Ein paar Friseure haben sich bereits vorgestellt ... vor Ihnen ... aber keiner hat was

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