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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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nicht aussieht. Aber die neue Stadt lebt von der alten.«
    »Hast du die Grabeskirche gesehen?"
    »Ja, die hab ich gesehen.«
    »Und die Omarmoschee?«
    »Die auch.«
    »Und den Garten Gethsemane?«
    »Den auch.«
    »Und die Via Dolorosa?«
    »Auch, Hanna.«
    »Und was hast du in Jerusalem gemacht?«
    »Herumspaziert, Hanna. Fotografiert.«
    »Womit?«
    »Mit meinen Froschaugen.«
    Können Sie uns sehen? Hören Sie Hanna lachen? Ich rauche mir eine Zigarette an. Hanna sagt: »Paß auf. Brenn das Bett nicht an. Und das Zelt.«
    Ich rauche und liege still.
    »Und hast du Mea Scharim gesehen ... das Viertel der orthodoxen Juden? Und stimmt das ... daß die Juden dort Kaftans tragen und Pelzhüte? Und lange Barte haben? So wie früher im Ghetto?«
    »Ja, Hanna. Das stimmt. Die leben noch wie im Ghetto. In Mea Scharim. Dort wird noch fleißig gebetet. Eine andere Welt, Hanna. Die steht mitten in der Welt der Pioniere, so wie ein Denkmal, Hanna, damit wir Gott nicht vergessen.« - Ich rauche. Und starre durch den Schlitz im Zelt und sehe einen einzigen Stern. Und der steht über Jerusalem.
    »Warst du am Toten Meer, Itzig?«
    »Ja. Dort war ich.«
    »Und wie ist es dort?«
    »Heiß, Hanna. Dort ist es heiß.«
    »Und was hast du dort gemacht?«
    »Gebadet, Hanna. Und Salz geschluckt. Dort kann keiner untergehen. Nicht mal ein Massenmörder.«
    »Was redest du da für Unsinn. Du bist doch ein richtiger Spinner. - Und hast du den Jordan gesehen? Undden Jarkon-Fluß? Und warst du am Roten Meer?«
    »Ja, Hanna. Aber laß mich jetzt in Ruhe.«
    »Und warst du im Negev?«
    »Natürlich war ich im Negev!«
    »Und wie sieht es im Negev aus?«
    »Wie eine Mondlandschaft, Hanna.«
    Ich wollte nichts erzählen. Trotzdem erzähle ich, erzähle von Kapernaum, das ich gesucht hatte und nicht gefunden, erzähle von Bethlehem und Nazareth und von den Wegen Christi, der glaubte, er wäre ein Gott, erzähle vom Jordan und von den Spuren Johannes des Täufers, lasse Gedanken hüpfen und springen, erzähle von Cäsaria und den römischen Statuen, die von den Sommervögeln bekleckst sind wie das Führerdenkmal auf dem Adolf-Hitler-Platz in Warthenau. Ich erzähle von trockengelegten Sümpfen, von roter und schwarzer Erde, von Himmel und Sonne, gelbem Wüstensand und Felsen aus weißem Kalkstein, erzähle von jüdischen Dörfern und von Gemeinschaftssiedlungen weiter land einwärts, die alle so ähnlich sind wie Pardess Gideon und doch anders.
    Können Sie Hanna sehen? Und können Sie mich sehen? Es ist dunkel im Zelt. Hanna hat kindliche Augen. Etwas irre. Sie war einmal gefesselt. Drei Jahre lang. An eine Bank. Und eines Tages ist sie weggeflogen, konnte plötzlich fliegen.
    »Das muß schön sein, Itzig, dort oben auf dem Karmelberg.«
    »Ja, Hanna. Dort ist auch Wald. Und im Wald wohnen Zwerge. So wie in Deutschland. Und doch ist der Wald anders und die Zwerge sind anders.«
    »Und die Bucht?«
    »Die ist unten, Hanna. Tief unten. Und wenn man oben steht, auf dem Gipfel des Berges ... und hinunterblickt auf die Bucht... da kriegt man Lust zu fliegen. So wie die Schmetterlinge.«
    »So wie die Schmetterlinge?«
    »Ja, Hanna. Genau so.«
    »Das muß ich mal versuchen.«
    Ich nicke und sage: »Ja, Hanna. Dort kannst du fliegen. Ein bißchen rumfliegen ... wie? Über der Bucht. Du mußt nur aufpassen wegen der englischen Flotte.«
    Hanna sagt: »Vor Schiffen hab ich keine Angst.«
    »Na schön, Hanna.«
    Ich krieche aus dem schmalen Bett, hänge die Öffnung im Zelt zu, weil mich der Stern stört, schließe die Froschaugen, möchte schlafen.
    Hanna fragt plötzlich: »Was hat dich am meisten beeindruckt?«
    »Wie meinst du das?«
    »Hier in Palästina.«
    Ich sage: »Die jungen Bäume, Hanna. Die jungen Bäume, die die Juden in der Wüste gepflanzt haben.«
    Hanna sagt: »Bäume!«
    Ich sage: »Ja. Die jungen Bäume. Jeder junge Baum ist die Seele eines Toten.«
    »Eines Juden? Einer Jüdin? Unserer Toten?«
    »Ja, Hanna.«
    »Stimmt das wirklich, Itzig?«
    »Ja, Hanna. Das stimmt.«
    »Und wieviel junge Bäume hast du gesehen?«
    »Ich hab sie nicht gezählt, Hanna. Es sind schon ziemlich viele.«
    »Millionen?«
    »Das weiß ich nicht, Hanna. Aber es werden täglich mehr gepflanzt. Es werden immer mehr.«
    »Ist das die Auferstehung der Toten?«
    »Ja, Hanna. Sie kehren alle zurück.«
    » Alle ?«
    »Ja, Hanna. Alle, die einmal im Exil gestorben sind.«
    » Und die anderen ... die einmal hier gestorben sind?«
    »Die sind doch hier, Hanna.

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