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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Russe.«
    »Ach so!«
    »Ja, sehen Sie ...«
    »Und was ist das für ein Orden?«
    »Man munkelt: das Eiserne Kreuz Erster Klasse. Ihr erster Mann war ein preußischer Offizier.«
    »Jude?«
    »Ja. Ein Jude.«
    »Ein Andenken ... das Eiserne Kreuz?«
    »Ja. Ein Andenken.«
    Eine preußische Jüdin, die Preußen nicht vergessen kann. Das hat mir gerade noch gefehlt. Und noch dazu hier im Heiligen Land.
    Wissen Sie, was Schmuel Schmulevitch unlängst zu mir gesagt hat? »Herr Finkelstein«, hat er gesagt. »Wir sind Leidensgenossen. Ich bin ein Russe und Sie sind ein Galizianer ... wenn ich nicht irre. Wir müssen uns vor meiner Frau in acht nehmen.«
    Hab zu ihm gesagt: »Meine Eltern sind aus Galizien, aber ich selbst bin in Wieshalle geboren, einer alten deutschen Stadt.«
    »Das macht nichts«, hat er gesagt. »Sie sind ein Gali zianer, Herr Finkelstein."
    Hab ihn gefragt: »Hat Ihre Frau damals gewählt?« Hat mich gefragt: »Wen gewählt?«
    Hab gesagt: »Adolf Hitler!«
    Nein. Ich habe bis jetzt keine Schwierigkeiten mit Frau Schmulevitch gehabt. Sie guckt zwar manchmal ein bißchen krumm, wenn ich mit den Kunden jiddisch rede, aber sie sagt mir nichts. Sie weiß, daß ich was kann. Ich bin ein guter Friseur. Ich mache meine Arbeit.
  9.
    Hab zu mir gesagt: »Itzig Finkelstein! Du mußt aufpassen! Du mußt verdammt aufpassen! Sie läßt dich zwar vorläufig in Ruhe. Aber man kann nie wissen ... Du siehst jüdisch aus. Viel zu jüdisch. Obwohl das nicht stimmt. Aber sie glaubt es. Du hast ein Stürmergesicht.«
    Ich bin frühmorgens der erste im Laden ... pardon: im Salon ... und gehe abends als letzter weg. Mein Fleiß ist sprichwörtlich. Ich arbeite sogar während der Mittagspause, vergeude nie Zeit, bohre während der Arbeit nicht in der Nase, kratze mich nicht am Hintern und rauche nicht.
    Gestern hat mir Schmuel Schmulevitch den Schlüssel anvertraut. Hat zu mir gesagt: »Herr Finkelstein. Meine Frau ist beeindruckt. Da Sie sowieso als erster kommen und als letzter weggehen, dürfen Sie von jetzt an früh morgens den Laden aufschließen und abends, nach Fei erabend, wieder zuschließen.«
    Was habe ich Ihnen gesagt!
    Gestern abend kam noch ein später Kunde. Das Perso nal war längst heimgegangen. Sogar Frau Schmulevitch. Nur Schmuel Schmulevitch und ich waren noch im Salon.
    Während ich, wie gewöhnlich vor Torschluß, im Salon nach dem Rechten sah, hier und dort Werkzeuge, Handtücher, Cremes, Fläschchen und so fort auf denziemenden Platz rückte oder legte, Steckkontakte überprüfte, Strom ausschaltete, Wasserhähne zudrehte... unterhielt sich Schmuel Schmulevitch mit dem späten Kunden, kam dann zu mir und sagte: »Ein amerikanischer Jude. Ein Tourist. Der muß noch bedient wer den.« Schmuel Schmulevitch flüsterte: »Einen amerika nischen Juden darf man nicht vor den Kopf stoßen. Unser Zukunftsstaat wird schließlich und endlich eine Menge Geld brauchen. Vergessen Sie das nicht!«
    Ich sagte: »Gehen Sie ruhig nach Hause, Herr Schmulevitch. Lassen Sie Ihre Frau nicht mit dem Essen warten. Ich werde mir mit dem Touristen die größte Mühe geben. Und was die Überstunden anbetrifft ... machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe Zeit. Das macht nichts.«
    Wir waren allein. Der Kunde und ich. Wir unterhielten uns jiddisch.
    Der Kunde sagte: »Bin hergekommen, um einen Artikel zu schreiben. Über Palästina.«
    »Sind Sie Journalist?«
    »Nein. Aber Präsident einer jüdischen Wohlfahrtsor ganisation. Wir geben eine kleine Zeitung heraus. Und ab und zu muß ich was schreiben. Irgendeinen Leitartikel.«
    »Sehr interessant. Ein Amateurjournalist?«
    »Kam gestern abend an. War schon dunkel. Hab nichts gesehen. Fuhr zuerst zu meiner Tante. Nach Beth David. Schlief dort. Erwachte früh mit einem Hexen schuß. Blieb den ganzen Tag im Bett. Am Abend bekam ich ein Telegramm aus New York. Meine Frau liegt in den Wehen. Verfrüht. Unerwartet. Muß noch heute zurückfliegen.«
    »Dann gratuliere ich. Hoffentlich ein Sohn, was?«
    »Hoffentlich."
    »Eigentlich schade. Da sind Sie extra hergekommen, um einen Artikel über Palästina zu schreiben ... und haben nichts gesehen. Keine Zeit gehabt!«
    »Gar nichts hab ich gesehen.«
    »Und was wird aus dem Artikel über Palästina?«
    »Den muß ich schreiben.«
    »Obwohl Sie nichts gesehen haben?«
    »Ja.«
    »Und wie wollen Sie das machen?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«
    »Ja. Warum nicht?«
    »Wie können Sie mir helfen?«
    »Ich

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