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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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getaugt.«
    Und ich sagte: »Ja. So ist das.«
    Und Schmuel Schmulevitch sagte: »Sehen Sie. So ist das.«
    Natürlich wurde ich engagiert. Fing am nächsten Tage an. Um genauer zu sein: am 5. Juli 1947.
    Erlauben Sie mir, Ihnen meine neuen Kollegen vorzustellen: Isu Moskowitz, Joine Schmatnik, Sigi Weinrauch, Max Weizenfeld, Lupu Gold, Michel Honig, Benjamin Jakobowitz und Itzig Spiegel. Wie Sie sehen: acht Friseurgesellen. Ich bin der neunte.
    Zehn Friseursessel und nur neun Gesellen? Das stimmt. Am zehnten Friseursessel arbeitet unser Chef, der Schmuel Schmulevitch, persönlich.
    Wie Sie sehen ... alles wohl organisiert.
    Ich vergaß, die Namen der beiden Lehrjungen, der Maniküren und der Schuhputzer zu erwähnen. Verzeihen Sie mir. Die beiden Lehrjungen sind Franzi und Motke, die Maniküren ... Rita und Irma, die Schuhputzer Arnos und Raphael.
    Habe ich Sie verwirrt? Sind das zu viele Namen? Macht Ihr träger Verstand nicht mit? Na schön: dann merken Sie sich vorläufig nur meinen Kollegen Itzig Spiegel -blond wie Itzig Finkelstein, der echte ... aber mit Schnurrbart ... Zwirbelschnurrbart, kühn emporgeschwungen, mit zwei gefährlichen Spitzen. Augen: nicht blau. Nicht so wie Itzig Finkelsteins Augen. Itzig Spiegels Augen sind grün. Oder: grün-grau. Stimme: etwas piepsig. Wahrscheinlich Nichtraucher.
    Itzig Spiegel ist Junggeselle wie ich. Eltern aus Galizien . So wie meine. - Hat mir gleich am ersten Tage gesagt: »Herr Finkelstein. Zwei Itzigs, das ist ein bißchen viel für diesen Salon. Sie heißen ab heute Jizchak!«
    Hab zu ihm gesagt: »Kommt gar nicht in Frage. Ich ändere meinen Namen nicht.«
    »Na schön«, hat er gesagt. »Dann heiße ich ab heute Jizchak.«
    Hab zu ihm gesagt: »Wie sie wollen, Herr Spiegel. Mir kann's recht sein. Bloß versteh ich nicht, warum das nicht geht ... zwei mit demselben Vornamen ... in diesem Salon.«
    »Wegen ›seiner‹ Frau«, hat er gesagt. »Die kann die Ostjuden nicht leiden. Und zwei Angestellte mit so einem Vornamen ... das wird der bestimmt nicht passen.«
    »Und auf welche Frau spielen Sie an, Herr Spiegel?«
    »Auf die Frau von Schmuel Schmulevitch.«
    »Ist der kein Ostjude? Der Schmuel Schmulevitch?«
    »Natürlich ist er einer. Das ist ja der Haken.«
    Das ist 'ne Type! Die Frau von Schmuel Schmulevitch! Die hab ich Ihnen ganz vergessen vorzustellen. Das ist hier nämlich die Hauptperson. Außer Schmuel Schmulevitch. Das kapieren Sie ... ja? Hab sie vergessen. Aber die ist hier. Ganz bestimmt. Ist immer hier.
    Sitzt an der Kasse. Bedient auch den Verkaufsstand. Ist eigentlich überall, wenn auch nur mit den Augen.
    Was sagen Sie? Ich soll Frau Schmuel Schmulevitch näher beschreiben? Ein anderes Mal. Die ist nicht leicht zu beschreiben.
    Frau Schmulevitch: Mumiengesicht. Ich schätze sie auf 90. Aber das kann nicht stimmen. Ich habe Veronja, die Hexe im polnischen Wald, auf 118 geschätzt. Und das hat auch nicht gestimmt.
    Nein. Die kann noch nicht so alt sein. Denn die Augen im Mumiengesicht sind seltsam lebendig. Wütende, kleine Vogelaugen, die Gesellen, Lehrjungen, Maniküren, Schuhputzer und sogar den Chef Schmuel Schmulevitch mit hypnotischer Kraft an ihre vorgeschriebenen Arbeitsplätze fesselt. Es heißt hier im Laden ... pardon: im Salon ... »wenn die guckt, da wird gearbeitet ... und zwar mit Volldampf und ohne Zeitverschwendung.« Ja, wenn Frau Schmulevitch aufblickt, da wagt keiner, in der Nase zu bohren oder sich am Hintern zu kratzen oder gar zu rauchen ... da wird mit Hochdruck geschnipselt und geschoren und geschabt und massiert und gescheitelt und kompressiert, kurz: gearbeitet.
    Erst unlängst sagte Jizchak Spiegel zu mir: »Wenn man bedenkt. Die beiden sind grundverschieden ... Schmuel Schmulevitch, ein Mann mit einem Herz aus Gold ... dagegen die Frau: eine Giftschlange!«
    Ihre Haare sind hellblond gefärbt. Meistens trägt sie Lockenwickler, als wollte sie uns allen zeigen, daß sie, eine alte Frau, längst noch nicht resigniert hat.
    Sie trägt ein silbernes Kettchen. Und dort hängt was dran, ein verborgenes Schmuckstück, sitzt irgendwo zwischen den welken Brüsten, tief verborgen unter dem hochgeschlossenen Kleid.
    Hab Jizchak Spiegel gefragt: »Was ist das für ein Schmuckstück?«
    »Das hat noch keiner gesehen«, sagte Jizchak Spiegel. »Man munkelt bloß!«
    »Und was munkelt man?«
    »Von einem deutschen Orden.«
    »Ist sie deutsche Jüdin?«
    »Ja. Das ist sie. Eine Preußin.«
    »Und Schmuel Schmulevitch?«
    »Ein

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