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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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nötig ist. Und dieser Umweg nach Jaffa war nötig. Denn das Ficken ist eine dringende Sache!« Aber dann hab ich zu mir gesagt: »Itzig Finkel stein. Lieber lebendig auf der dürren Zippora im jüdischen Bordell in Tel Aviv ... als mit einem Messer im Rücken oder mit durchschnittenem Hals auf der fetten Fatma im arabischen Bordell in Jaffa!«
    Sagte dann zu meinem Taxichauffeur: »Zurück nach Tel Aviv!«
    Wir fuhren zurück nach Tel Aviv. Machten Halt vor dem Hotel Königin Saba. Ich stieg aus, ging hinein, sah mir die Damen an, auch die dürre Zippora, fand sie alle zu mager, machte kehrt und ging zu meinem Taxi zurück. Sagte zu meinem Taxichauffeur: »Ich konnte mich nicht entschließen. Zurück nach Jaffa!«
    Ich sprach mir Mut zu. Sagte zu mir: »Itzig Finkelstein. Alles weit übertrieben. Die werden dir bestimmt kein Messer in den Rücken stoßen! Oder gar den Hals durchschneiden!« - Aber als wir in Jaffa anlangten und vor dem Hotel Abdulla Halt machten, sank mir das Herz wieder in die Hosen.
    Wir fuhren noch einige Male zwischen dem Hotel Abdulla und dem Hotel Königin Saba hin und her, bis ich müde wurde und mich entschloß, nach Hause zu fahren.
12.
    Habe mir ein Lehrbuch der hebräischen Sprache gekauft. Mache gute Fortschritte. Lerne auch Englisch, eine Sprache, die der deutschen verwandt ist.
    Spiele erregende Spiele. In der letzten Woche habe ich Bäume gezählt. Zählte alle Bäume in der Dritten-Tempel-Straße, auch die in der Jabotinskystraße, Schalom-Alechem-Straße, Ruppinstraße, Anskistraße, Peretz-straße. Wollte auch die Bäume der König-David-Straße zählen und auch die in den Nebenstraßen und die im Herzlpark und die Dattelpalmen am Strand. Dachte sogar daran, in den Wald der 6 Millionen zu gehen. Aber das hab ich nicht gemacht.
    Das ist ein gefährliches Spiel. Ich zähle nicht gerne. Das wissen Sie ja. Hab auch damals nicht gezählt. Hab mich gefragt: »Warum zählst du, wenn du nicht gerne zählst?«
    Hab zu mir gesagt: »Du kriegst nämlich das Kribbeln!« Hab zu mir gesagt: »Wenn es ein Jüngstes Gericht gibt ... und wenn man sich dort eine Strafe aussuchen kann ... dann wirst du dem lieben Gott sagen: deinetwegen jede Strafe ... nur nicht Bäumchen zählen. Oder Seelchen zählen. Da krieg ich nämlich das Kribbeln!‹«
    Glauben Sie bitte nicht, daß ich, der Massenmörder Max Schulz oder Itzig Finkelstein ... mich nicht auch mit praktischen Überlegungen beschäftige ... ich meine: während meiner Spaziergänge. Unlängst überlegte ich, wo ich meinen zukünftigen Friseurladen oder Friseursalon aufmachen sollte. Sie verstehen schon, was ich meine! Will ja nicht ewig Angestellter bleiben! Werde mich ja eines Tages selbständig machen!
    Ich habe mir alle Straßen in Beth David angesehen, die eventuell für einen Laden in Frage kämen. Der Laden kann nur an einer Ecke liegen, da ›Der Herr von Welt‹, der Salon meines Vaters, ja auch an der Ecke lag: an der richtigen Ecke! Hab zu mir gesagt: »Itzig Finkelstein! Mach dich erst besser mit Land und Leuten vertraut. Lerne die Landessprache. Schnüffle ein bißchen rum. Halte Augen und Ohren offen. Lege Erwä gungen auf die Waagschale. Wiege vorsichtig. Lies auch Zeitungen. Wart noch ab. Die Engländer werden bald abziehen. Und dann gibt's hier Krieg. Und wenn du in den Krieg mußt ... dann ist das nicht gut für ein neues Geschäft.«
    Kein Mensch verdächtigt mich. Wenn ich jiddisch rede, dann bin ich ein Galizianer, allerdings einer, dessen Jid disch nicht gut ist, da ich ja nie in Galizien gewohnt habe. Verständlich. Kein richtiger Galizianer. Bloß im Scherz von den Leuten Galizianer genannt. - Wenn ich deutsch rede, dann bin ich ein deutscher Jude. Und wenn ich Worte gebrauche aus dem Sprachschatz des Schwarzen Korps, dann bin ich ein KZnik. Bei mir ist eben was hängen geblieben. Basta! Und warum nicht? Was kann ich dafür? Freiwillig war ich nicht dort!
    Alles ist beim alten im Friseursalon Schmuel Schmulevitch . Auch die politischen Gespräche. Mein neuer Stammkunde, der Textilfabrikant Daniel Rosenberg - es heißt: der zukünftige Bürgermeister! - fragt mich jeden Morgen dasselbe: »Herr Finkelstein! Was halten Sie von der politischen Lage?«
    Meine Antwort ist immer dieselbe: »Und was halten Sie davon, Herr Bürgermeister?«
    Dann sagt er gewöhnlich: »Ich bin noch nicht der Bürgermeister.«
    Und ich antworte dann selbstverständlich: »Aber bald, Herr Bürgermeister. Darauf möchte ich wetten!«
    Die politische

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