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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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redete lauter, berauschte mich an meiner eigenen Stimme ... und die ... klang so ähnlich ... oder genauso ... wie die Stimme auf dem Ölberg hinter dem Altar. Als ich mit meiner Rede zu Ende war, zitterte alles im Friseursalon, alles was nicht niet- und nagelfest war. Die blankpolierten Spiegel sandten Lichtreflexe in den Raum. Ich wußte nicht, ob die Kunden, das Personal und Schmuel Schmulevitch und seine Frau den letzten Teil der gewaltigen Rede wirklich verstanden hatten, war aber sicher, daß der Ton meiner Stimme seine hypnotische Wirkung nicht verfehlt hatte. Denn als ich schwieg, war es sekundenlang still im Salon, so still wie damals auf dem Ölberg nach der gewaltigen Rede. Dann aber sprangen die Kunden von ihren Sesseln empor, kümmerten sich nicht mehr um Scheren und Kämme, Rasier- und Effiliermaschinen, Pinsel und Seife, schrien wie die Wahnsinnigen: »Amen! Amen! Amen!« Und auch das Personal schrie: »Amen!« Und auch Schmuel Schmulevitch und seine Frau.
    Mir ist's scheißegal, ob Sie mir glauben oder nicht. Machen Sie, was Sie wollen. Ich will nur weitererzählen. Weiter nichts.
    Sowas spricht sich rum. Schließlich sind wir ... der Fri seursalon Schmuel Schmulevitch ... der einzige Friseur salon in Beth David. Hier kommt jeder her! Hier sind alle Gesellschaftsklassen vertreten, kurz: das Volk!
    Seit meiner Rede stehen die Leute hier Schlange. Herren, die sich sonst nur einmal im Monat die Haare schneiden lassen, kommen jetzt öfter. Manche lassen sich zweimal täglich rasieren oder kommen unter irgendeinem anderen Vorwand, zum Beispiel: Kopfbe strahlung! Oder: Massage! Oder: ein bißchen nacheffilieren! Oder: Schuppenbehandlung! Oder: eine dringende Maniküre!
    Ein Bombengeschäft. Frau Schmulevitch weiß das zu schätzen. Die denkt nicht dran, mich zu entlassen.
    Unlängst sagte Schmuel Schmulevitch zu mir: »Herr Finkelstein. Haben Sie was bemerkt?«
    Ich fragte: »Was bemerkt?«
    »Die Leute von Jankl Schwarz ... Terroristen!«
    »Was ist mit denen?«
    »Die schleichen hier rum ... um meinen Friseursalon. Gucken durchs Schaufenster. Starren Itzig Finkelstein an.«
    »Eine tolle Sache, Herr Schmulevitch.«
    Schmuel Schmulevitch blickte mich ernst an. Sehr ernst. Sagte: »Ich hab's im Magen gespürt, daß das die Leute von Jankl Schwarz waren. Und noch mehr: glau be sogar, daß Jankl Schwarz neulich persönlich hier war, um Sie zu beobachten.«
    »Glauben Sie das nur? Oder ... kennen Sie Jankl Schwarz? Sagen Sie's ehrlich! Wissen Sie etwa, wer das ist und wie der aussieht?«
    »Nein, Herr Finkelstein. Kann bloß das Gefühl nicht loswerden: Jankl Schwarz war hier im Laden ... pardon: im Salon.«
    Eines Abends ... auf dem Heimweg vom Cafe Trumpeldor ... verstellten mir zwei Männer den Weg.
    Die Straßenbeleuchtung hier ist schlecht, obwohl das eine moderne Stadt ist. Meine Brillengläser waren leicht angelaufen. Wußte kaum, was los war. Bemerkte noch: Khakiuniformen, braungebrannte Gesichter, schläfrige Häuser, aus deren Fenstern gedämpftes Licht fiel ... bemerkte auch Laternen vor dem Eingang des Herzl-parks, fragte mich: Warum bist du eigentlich hier vorbeigegangen? ... bemerkte auch einen englischen Panzer, der in entgegengesetzter Richtung davonfuhr ... dann wurde ich, der Massenmörder Max Schulz, vom Gehsteig heruntergezerrt, in ein Taxi gestoßen ... Vordersitz. Männer, die hinter mir saßen, packten mich, verbanden mir die Augen, steckten mir ein Taschentuch in den Mund. Aus, dachte ich. Jetzt haben sie dich!
    Während der Fahrt fing ich an, klarer zu denken. Wer konnte das sein? Agenten des Jüdischen Geheimdienstes in Palästina? Oder die Leute von Jankl Schwarz? Was wollten sie? Was wollten sie mit mir? Wußten sie was? Oder wußten sie nichts?
    Das Taxi fuhr langsam. Wahrscheinlich, um nicht aufzufallen. Warum hatte man mich auf den Vordersitz gesetzt? Im Film ist das anders. Dort sitzt ein Gefangener immer auf dem Hintersitz ... und zwar einge klemmt zwischen seinen Bewachern! Was, zum Teufel, hatten die vor? Wollten die mich von hinten erledigen? So wie ›er‹ ... den Itzig Finkelstein erledigt hatte?
    Ich saß steif da. Verhielt mich ruhig. Paßte aber auf. Sagte zu mir: So. Jetzt sind wir um den Herzlpark rumgefahren. Die können mich nicht täuschen. Und jetzt... Richtung Süd! Baustellen! So! Hier ist's holprig. Keine richtige Straße mehr. Die Baustellen! Ist dort das Haupt quartier?
    Stießen mich aus dem Taxi. Unebener Boden. Die Nacht roch nach Mondlicht, Feuchtigkeit,

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